184.
Transüguratiqn.
Krönung Mariä.
241
tigen. Dann haben wir nicht erst nöthig, die Bücher des
neuen Testamentes zur Entwickelung der Thatsachen nach-
zuschlagen; dann stellt uns der untere Theil die Noth und
den Jammer des irdischen Lebens, das Walten dämonischer
Mächte, die eigne Unmächtigkeit auch der Gläubigen und die
Weisung nach oben dar; dann erblicken wir oben, im Glanze
göttlicher Wonnen und unberührt von dem Leiden der Tiefe,
den Quell des Trostes und der Erlösung vom Üebel. Dann
werden auch jene künstlerischen Freiheiten, an denen eben-
falls schon manch ein kümmerlich befangenes Auge Anstoss
nahm, die niedrige Erderhöhung statt eines Berges, der
veränderte Augenpunkt für die oberen Gruppen (so dass diese
nicht in der Verkürzung von unten, sondern in vollkommener
Entwickelung der Formen, wie eine Vision gesehen werden)
die Motive neuer und eigenthümlieher Schönheiten.
Eins jedoch scheint diesem Werke zu Inangeln; es ist (wenn
ich anders mein Gefühl vor dem Bilde in deutliche Worte zu
übersetzen vermag) jene mehr unbefangene, reinere Schön-
heit, jene künstlerische Gemessenheit und Einfalt in der Füh-
rung der Linien (vornehmlich bei der Gewandung), welche
unmittelbar auf das Gemüth des Besehauers wirken. Die
Wirkung des Bildes geht einerseits mehr auf den äusseren
Sinn, andrerseits mehr auf den Geist des Besehauers, Wäh-
rend der Theil unsers Ich, den wir Seele nennen, nicht seine
volle Befriedigung findet. In diesem Betracht leitet das Bild
bereits zu den späteren Perioden der Kunst hinüber. Doch
soll diese Bemerkung eben nur angedeutet sein. Wo trotz-
dem so Grossartiges, Tiefsinniges, Beispielloses geleistet
wurde, ich habe nur die allgemeinsten Umrisse geben kön-
nen, da ziemt sich's, in Demuth das IsIaupt zu beugen.
Nur um es nicht zu übergehen, möge hier noch ein Bild
genannt werden, dessen Ausführung Rafael bereits in seiner
Jugend (1505) übernommen hatte, welcher Verpiiichtung aber
erst seine Erben, Giulio Romano und Franceseo Penni nach-
kamen. Es ist die Krönung Mariä, die für das Klosterll.
S. Ylaria di Monte Luee in Perugia gemalt wurde, gegen-
wärtig in der Galerie des Vaticans. Zu dem oberen Theil
Kugler Malerei I1. 16