Volltext: Franz Kugler's Handbuch der Geschichte der Malerei seit Constantin dem Großen (Bd. 2)

176. 
Vatican. 
Heliodor; 
Messe 
Bolsena. 
203 
schiinder loszuschlagen, schweben zu seinen Seiten. Dies ist 
eine Gruppe voll der wunderbarsten, ergreifendsten Poesie; 
sie ist wie der Blitz des göttlichen Zornes, der die Ver- 
brecher niederschmettert. Gegenüber, auf der anderen Seite, 
ist eine dicht zusammengedrängte Gruppe von Weibern und 
Kindern, reizend bewegt in dem Ausdrucke des Staunens 
und Schreckens. Neben ihnen wird der Papst Julius IL, auf 
einem Tragstuhl sitzend, in den Tempel getragen; seine 
Gegenwart bezeichnet die" näheren Bezüge des wunderbaren 
Vorganges auf die Verhältnisse der Gegenwart.  Dies Bild 
enthält die geistreichste Entwickelung einer ausgedehnten 
Handlung, Beginn und Folge derselben in sich einschliessend; 
es ist die trefflichste Darstellung eines heftig bewegten, schnell 
vorübergehenden Momentes. (Nur die theilnahmlose Ruhe in 
der Gruppe des Papstes stört in dieser Beziehung; man 
möchte wünschen, dass sie mehr als einen äusserlichen Be- 
zug, dass sie selbst eine individuelle Theilnahme an dem Vor- 
gange enthielte.) Im Einzelnen zeigt sich eine unübertreif- 
liche Naivetät und Anmuth in Form. und Bewegung der Ge- 
stalten, im Ganzen eine grossartig freie, die Totalwirkung be- 
rechnende Ausführung, wenn auch nicht überall mehr des 
Meisters eigne Hand das Werk ausgeführt haben sollte. 
2) Die lVlesse von Bolsena (Fensterwand). Dar- 
stellung des Wunders, welches im Jahre 1263 einen an der 
Transsubstantiation zweifelnden Priester von der Wahrheit 
dieser Lehre durch das Blut überzeugte, das aus der von 
ihm geweihten Hostie floss. Wie im vorigen Bilde der 
Schutz der Kirche in ihren äusseren Verhältnissen, so wird 
in diesem ihre Sicherung nach innen, gegen Zweifler und 
Ketzer, und die Unfehlbarkeit des päpstlichen Glaubens vor- 
gfßführt, ohne Zweifel ebenfalls in Bezug auf die Zeitverhält- 
msse, auf jene Gährung in den Gemüthern, welche dem bald 
darauf erfolgten Ausbruchs der Reformation voranging.  
111 dißßem Bilde ist die Vereinigung jener wunderbaren Be- 
gebenheit mit den Personen der Gegenwart in zwar einfacher 
über hößhßt meisterhafter und befriedigender Weise durch- 
geführt. Ueber dem Fenster der Wand erblickt man einen
	        
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