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Buch III.
Italien.
XVI.
Jahrhundert.
Rafael.
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nebeneinander, ohne dass jedoch Steifheit oder Zwang irgend-
wie sichtbar würde; nach den Seiten und der Tiefe zu löst
sich diese Haltung zu grösserer Freiheit, und die Gruppen
bilden sich aus Stellungen der mannigfachsten Art, so jedoch
wiederum, dass im Ganzen und Wesentlichen die Gegen-
seitigkeit aufs Genügendste beobachtet bleibt. Der Styl ist
grossartig und frei , durchweg ist eine malerische Gesammt-
Wirkung bezweckt und aufs Vollkommenste erreicht. Die
Zeichnung im Nackten wie in den Gewändern, ist höchst
vollkommen und überall von dem edelsten Schönheitsgefühle
geleitet; die Gruppe der Jünglinge vornehmlich, welche um
den Archimedes versammelt sind, gehört zu dem Liebens-
würdigsten und Naivsten, was Rafael geschaffen hat.
4) Die Jurisprudenz (Fensterwand). Die Darstel-
lungen dieser Wand zerfallen in drei getrennte Gemälde.
Ueber dem Fenster, von dem Bogen des Gewölbes einge-
fasst, erblickt. man drei sitzende weibliche Gestalten, Personi-
ficationen der Klugheit (oder Vorsicht), der Stärke und
Mässigung, als derjenigen Tugenden, ohne deren Begleitung
die Rechtswissenschaft nicht ins Leben treten kann. Die
Klugheit sitzt erhöht über den beiden andern in der Mitte;
sie hat nach vorn ein jugendliches, nach hinten ein Greisen-
gesiebt (den Blick in die Zukunft und in die Vergangenheit
bezeichnend); ein Genius hält ihrem jugendlichen Gesicht
einen Spiegel, ein andrer ihrem alten Gesicht eine Fackel
vor. Die Stärke ist ein geharnischtes Weib in kühner Be-
wegunga"), einen Eichenzweig in der Hand, einen Löwen
neben sich. Die Mässigung trägt einen Zügel in den Hän-
den. Andre Genien sind zu den Seiten auch dieser Figuren
zur Ausfüllung des Raumes angebracht. Es sind reizvolle
und würdige Gestalten, die beiden äusseren voll schönen
Affektes, der indess vielleicht jene Ruhe, welche man bei
allegorischen Wesen verlangt, in Etwas stören dürfte. Zu
den Seiten des Fensters ist die eigentliche Wissenschaft des
Sie scheint der allegorischen Figur
ken des Cambio in Perugia nachgeahmt.
der
Stärke
Fres-
unter den