Das
Horentinische
Abendmahl, u. a.
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liche Schönheit mit einem so tief ahnungsvollen Ausdruck zu
verbinden im Stande war. Es ist die letzte und höchste Ver-
klärung, deren Peruginds Typus fähig ist. Auch die Ma- 2.
donna, die aus dem Besitz des Herzogs von Terra nuova in's
Berliner Museum gelangt ist, scheint aus dieser Zeit zu stam-
men; Maria in einer Gebirgslandschaft sitzend, deren Gipfel
und Thurmspitzen in kühlem Morgenlicht schimmern, hält
auf dem Schoosse das Christuskind, welches mit dem kleinen
Johannes ein Spruchband hält; ein dritter Knabe, lieblich
aufschauend nach dem Christuskinde, vielleicht J acobus oder
Johannes der Evangelist, lehnt an ihrem Knie. Gegen die bei-
den andern Kindergestalten, die bei aller Liebjlichkeit etwas
Befangenes, Mühsa-mes haben, zeigt die letzterwähnte einen
fühlbaren Fortschritt.
Doch kann RafaePs erster Besuch in Florenz nur von
kürzer Dauer gewesen sein"). Bereits im folgenden Jahre
i) Hier müsste das im October 1845 aus der Vergessenheit her-
vorgezogene Abendm 3'111 im ehemaligen Nonnenkloster S. Onofrio
zu FlOTCIJZ (Via Faenzab NO- 4771) erwähnt werden, wenn ich mich
bis jetzt entschliessen könnte, darin ein unzweifclhaftes Werk RafaeYs
zu erblicken. Es haben sich in der Frage über die Echtheit dieses
Werkes schon so viele achtbare Autoritäten für und gegen vernehmen
lassen, dass ich es am liebsten bei einem blossen Referat bewenden
liesse; allein die Ansicht über den ganzen Entwickclungsgang RafaePs
hängt zu sehr davon ab, als dass ich das eigene Urtheil über dieses
jedenfalls sehr werthvolle Freseogemälde zurückhalten dürfte.
Das Bild wirkt beim ersten Anblick etwa wie ein Pinturicchio,
oder ungefähr als eine nicht rein Horentinische, sondern aus i-lorentini-
sehen und peruginesken Einflüssen gemischte Production. Für Ra-
fael's Werk jedoch wird es ein unvorbereiteter Beschauer nicht leicht
erkennen wollen. Nicht nur weichen die etwas breiten Köpfe von
dem Typus seiner Krönung Maria, seines Sposalizio, seines Frescobildes
von S. Severo beträchtlich ab, nicht nur steht die sehr feste und
geübte Praxis in diesem Abendmahl der noch immer zaghaften früh-
rafaelischen (z. B. in dem Fresco von S. Severo) geradezu entgegen,
sondern auch die Composition spricht eher gegen als für Rafael.
L5 1st Psychologisch unwahrscheinlich, dass Er, unter dem Eindruck
der gewaltigsten Werke Leonardds (und vielleicht auch Nlichelangelds),
1D einem Augenblick der stärksten künstlerischen Gährung seines In-
nern: sich S0 gutwillig in die althergebrachte, noch von den Grhirlan-