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Rafael.
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einigung hat niemals zu einer andern Zeit Statt gefunden;
Und dies gesehahe, weil sie gefesselt waren durch seine Höf-
lichkeit und seine Kunst, mehr aber durch den Geist seiner
guten Natur, die so voll von Adel war und so erfüllt von
Liebe, dass nicht nur die Menschen, sondern auch die Thiere
ihm Ehrerbietung bewiesen. Man sagt, dass wenn irgend ein
Maler eine Zeichnung bedurfte und ihn, mochte er ihn kennen
oder nicht, darum bat, er seine eigene Arbeit unterbrach, um
jenem zu helfen. Und immer hatte er eine unzählbare Menge
von Künstlern in der Arbeit, denen er half und die er mit
derjenigen Liebe unterwies, welche nicht Künstlern, sondern
eigenen Söhnen zukömmt. Aus diesem Grunde sahe man
ihn nie zu Hofe gehen, ohne dass er, wenn er sein Haus
verliess, nicht fünfzig Maler, alles tüchtige und gute Künstler,
um sich hatte, die ihn, um ihn zu ehren, begleiteten. Üeber-
haupt lebte er nicht wie ein Maler, sondern wie ein Fürst.
Und desshalb, 0 Kunst der Malerei, kannst du dich glücklich
schätzen, da du einen Künstler erzeugtest, der dich durch
Geschick und Tugend über den Himmel erhob."
Indem ich die einseitige Ueberschätzung RafaePs im
Vergleich zu andern Künstlern, welche aus dieser Stelle her-
geleitet werden könnte und welche gerade heutiges Tages
beliebt ist, hier gänzlich dahingestellt. sein lasse so finde
ich doch iu dieser Charakteristik das eigentliche Wesen, wel-
ches der Kunst RafaePs zu Grunde liegt, entschieden ange-
deutet. Wie ein Zauberer erscheint er in dieser Beschrei-
bung; nur seiner Gegenwart bedarf es, um Freude und Glück
zu verbreiten, um das Wunderbare möglich zu machen und
i") Rafaels Grösse, im Verhältniss zu andern Künstlern, ist nicht
S0W0hl qualitativer als quantitativer Art: kein Meister hat eine so be-
deutende Anzahl höchst vorzüglicher Werke hinterlassen, als er, dem
nur ein so kurzes Leben vergönnt war, bei keinem werden weniger
missfallige Einzelheiten bemerkt, als bei ihm. Persönlich steht er dem-
nächst allerdings als der edelste und gediegenste Charakter unter den
Künstlern, die uns bekannt sind, da. Aber dies darf uns nicht hin-
dern, die glücklichen Momente Anderer ebenfalls in ihrer hohen und
vollkommen selbständigen Bedeutsamkeit anzuerkennen.