144.
Buch III.
Italien.
XVI.
Jahrhundert.
Michelangelo.
166.
nach seinen Cartons die Gemälde ausführten, vielleicht jedoch
auch, um ihnen die Technik des Frescomalens, darin er min-
der erfahren war, gründlich abzusehen. Als ihre Arbeit
wenig genügend ausfiel, sandte er sie wieder heim, liess das
Begonnene herunterschlagen und machte sich allein ans Werk.
Die Gemälde an der Decke der sixtinisehen Kapelle ent-
halten das Schönste von Allem, was Michelangelo in seinem
langen thatigen Leben geleistet hat; hier zeigt sich ein grosser
Geist in seiner edelsten Würde und höchsten Reinheit; hier
tritt nichts von jenen Vvillkürlichkeiten dem Beschauer störend
entgegen, zu denen ihn sein grosses Talent in andren Werken
nicht selten verleitet hat. Die Decke wird durch ein Spiegel-
gewölbe gebildet. Der mittlere flache Theil (lerselben enthält
in einer Reihenfolge grösserer und kleinerer Bilder die be-
deutendsten Geschichten der Genesis, d. h. die Erschaffung
und den Sündenfall der Menschen, nebst dessen nächsten
Folgen. In den grossen Dreieckfeltlern des gewölbten Randes
sind die sitzenden Gestalten von Propheten und Sibyllenä),
als die Vorherverkünder der Erlösung, dargestellt; in den
Stichkappen und den darunter befindlichen Bögen über den
Fenstern die Vorfahren der heiligen Jungfrau, deren Reihen-
folge unmittelbar auf den Erlöser hinüberleitet. Der äussere
Zusammenhang dieser mannigfaltigen Darstellungen Wird durch
ein architektonisches Gerüst von eigenthümlicher Composition
vermittelt, welches die einzelnen Gegenstände umschliesst,
die Hauptmassen bedeutsam hervorhebt und dem Ganzen den
Anschein derjenigen Festigkeit und freien Haltbarkeit giebt,
welcher bei den an Decken befindlichen, also gewissermaassen
hängenden Darstellungen so höchst nöthig ist und so selten
gefunden wird. Zu diesem Gerüst. ist hier auch eine grosse
Anzahl von Figuren zu rechnen, welche an minder bedeuten-
den Stellen in Stein- oder Bronzefarbe, an bedeutenderen in
natürlicher Farbe ausgeführt sind; sie dienen dazu, die archi-
ü) Die Sibyllen stehen, nach der Legende des Mittelalters, den
Propheten des alten Bundes zur Seite; ihr Amt war es, den Heiden
die Zukunft des Erlösers zu verkündigen, wie dies von Seiten der Pro-
pheten für die Juden geschehen war.