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Buch III.
Italien.
XVI.
Jahrhundert.
Michelangelo.
166.
körperlicher Form, nicht mehr in symbolischer Umhüllung,
auszusprechen wusste. Ich möchte sagen: es ist etwas archi-
tektonisch Geheimnissvolles in Nlichelangeloisi Gestalten: sie
sind der Ausdruck urgewvaltiger Kräfte, die ihnen in der Be-
wegung wie in der Ruhe den Stempel höchster Macht und
erhabenster Leidenschaft aufgeprägt haben.
ßdichelangelo empfing seine erste Kunstbiltlung in der
Schule des Domcnico Ghirlantiajrw, ward aber loald, durch
innere Neigung und äusserc Veranlassung, mehr zum Studium
und zur Jäusübung der Bildhauerei hinühergezogen. Das
erste bedeutende Werk, welches er im Fache der Blaleroi
hervorgebracht hat, fallt. bereits in den Beginn seines männ-
1. liehen Alters (1504); es ist jener Carton, den er im Wettstreit
mit. dem älteren Leonardo da Vinci verfertigte. Ueber die
Veranlassung beziehe ich michauf das, was ich hierüber
bereits bei Leonardo bemerkt habe. Auch Michelangelds
Carton ist verloren (einer seiner Nebenbuhler, Baccio Ban-
dinelli, soll ihn zerrissen haben); doch sind wir sowohl durch
einige alte Kupferstichc, als auch durch andre Nachbildungen
von dem grössten Theile der Colnposition unterrichtetä).
Nlichelangelo wählte, wie ich erwähnt habe, den Anfang jener
Schlacht, und zwar, wie sich wenigstens aus dem Vorhande-
nen ergiebt, den Moment, in irvelchem ein Haute florentinischer
Soldaten, die eben im Arno baden, tinerwartet den Aufruf
zum Kampfe vernimmt. Dies gab dem Künstler Gelegenheit,
seine Kenntniss des Nackten in schönster und lebendigster
Entwickelung zu zeigen. Alles ist hier in Bewegung. Die
schon angekleideten, die noch halb oder ganz nackten Krieger
stehen in hastigem Gedränge durch einander; einige klettern
ü) Einzelne Figuren und Gruppen des Cartons, zum Theil unter
dem Namen der "Kletterer" (las GTÄHZPGIIKPS) bekannt, in Verschiedenen
Kupferstichen von Marc -Antonio und von Agostino da Vcnezia.
Eine alte Kopie des Haupttheiles der Composition, grau in grau, in
Oel gemalt, befindet sich zu Ilolklram, dem Landsitz des Grafen Lei-
cester in England. S. Passavant, Kunstreise etc. S. 19-1, und
Waagen, Kunstw. und Künstl. in England, lI, S. 511, u. f,Gest_ von
Schiavonetti. Reveil, 541. Desgl. v. Ruscheweyh.