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Buch III.
Italien.
XVI. Jahrhundert.
Leonardo.
162.
scheinen liesse. Der bekannte zarte Typus seines weiblichen
Idealkopfes, von schmalem Kinn und mit jenem anmuthvollen
Lächeln, welches hie und da selbst an den Ausdruck des
Buhlerischen streift, ist hier schon etwas manierirt wieder--
gegeben, während derselbe im Originalcarton rein, ursprüng-
lich und mit seelenvollem Adel zu Tage tritt.
3_ Ein zweiter grösserer Carton, den Leonardo in Florenz
arbeitete und der wiederum als eins der höchsten Meister-
werke neuerer Kunst geschildert wird, hat das Schicksal sei-
ner Bronzestatue und seines Abendmahls getheilt. Diesen
Carton fertigte Leonardo im Jahre 1503 und 1504 im Auf-v
trage des Staats und im lrVettkampfe mit Michelangelo, indem
danach Gemälde für den .Ti1stiz1ialast (Palazzo vecchio) von
Florenz ausgeführt werden sollten. Leonardo stellte den Siegr
der Florentiner über Niccolö Piecinino, General des Herzogs
Philipp Maria Visconti von Mailand, der im Jahre 1440 bei
Anghiari in Toscana erfochten wurde, dar, Michelangelo eine
Scene aus den pisanischen Feldzügen. Michelangelo wählte-
den ersten Beginn des Treffens, Leonardo den letzten, noch
zweifelhaften Moment des Sieges. Als die Cartons aufge-
stellt waren, strömten Xvon allen Seiten die jüngern Künstler"
zusammen, um an diesen kunstreichen und höchst vollendeten
Werken ihre Studien zu machen, so dass, wie es scheint, ge-
rade diese Gegenstände vom entschiedensten Einfiuss auf die
vollständige Entwickelung der neuen Kunst gewesen sind,
Beide Cartons sind verloren; nach dem des Leonardo hatte
Rubens, der ihn noch sah, eine Gruiipe von vier Reitern,
welche um eine Standarte kämpfen, gezeichnet; Edelingk hat
dieselbe in Kupfer gestochen. Dies Üeberbleibsel des reichen.
und grossartigen Werkes reicht gerade hin, um uns dessen
Verlust aufs Sehmerzlichste bedauern zu lassen f).
ü) Die urkundlichen Auszüge bei Gaye, Cartegg. II., S. 87 u. f_
beweisen, dass auch die Ausführung in Fresco im grossen Saale des
Palazzo vecchio schon stückweise begonnen war und dass Leonardo
dabei von den Malern Rafaello d'Antonio di Biagio und Fenando dem
Spanier unterstützt wurde. Das Wenige, was er vollendete, war noch
15l3 sichtbar.