Volltext: Franz Kugler's Handbuch der Geschichte der Malerei seit Constantin dem Großen (Bd. 2)

Buch III. 
und 
XVI. 
Jahrhundert. 
129. 
hunderts die gleichsam neu geborene Kunst empor, um nach 
kurzer, aber gewaltiger Blüthe Wieder in Aeusserlichkeit zu 
entarten. . 
Den durchgreifenden und bezeichnenden Unterschied je- 
doch, welcher die nordische Kunst von der italienischen jetzt 
erst ganz entschieden trennte, dürfen wir schon hier nicht 
gänzlich übergehen. Während die Italiener bei allem Natu- 
ralismus doch immer eine gewisse höhere Abrundung des 
Ganzen im Auge behalten, ihre Auffassung des Lebens gleicl1- 
massig durchführen und das rein Zufällige mit feinem Sinne 
zu vermeiden wissen, verfällt die nordische Kunst, seit ihrer 
Umgestaltung durch die flandrische Schule, in eine grosse Un- 
gleichartigkeit der Behandlung. Es mag einer künftigen, um- 
fassenden Geschichtforschung vorbehalten sein, diese Unter- 
schiede zur Deutung des Geisteslebens jener Zeit mit zu be- 
nutzen, und die Anknüpfungspunlzte in der Literatur und in 
der Geschichte der betreffenden Völker genauer nachzuweisen; 
hier ist uns nur vergönnt, die Phänomene als solche zu er- 
wähnen. Das Kunstbedürfniss, der Drang nach Form und 
Gestaltung, war damals im Norden so gross und vielseitig 
wie in Italien, sonst wäre nicht jedes Geräth des täglichen 
Lebens bis auf Stuhllehnen und Thürbesehläge künstlerisch 
gestaltet. worden. Aber in allen höhern Gattungen macht 
sich vom Anfang des XV. Jahrhunderts an ein eigenwilliger, 
phantastischer Zug geltend, welcher das Eine hervorhebt und 
ausbildet, das Andere liegen lässt und vernachlässigt, welcher 
das Zufällige als wesentlich, das Wesentliche als zufällig be- 
handelt. Grosse, tiefpoetische Intentionen lassen Wohl hin 
und wieder erkennen, dass es die Kunst eines überaus geist- 
vollen, selbständigen Volkes ist, welche zu uns spricht, aber 
kein einziges dieser Werke macht einen harmonischen Ein- 
druck, weil der Grad der Durchbildung in den einzelnen 
Theilen ein zu verschiedener ist. Bei einer oft erstaunlich 
feinen und scharfen Durchführung aller Details fehlt es an 
dem Sinn für die Grundlagen aller Körperdarstellung; Köpfe, 
bei welchen der Maler vor lauter Streben nach dem Unmit- 
telbaren und Wirklichen oft geradezu ins Portrait verfallen
	        
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