Buch III.
und
XVI.
Jahrhundert.
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hunderts die gleichsam neu geborene Kunst empor, um nach
kurzer, aber gewaltiger Blüthe Wieder in Aeusserlichkeit zu
entarten. .
Den durchgreifenden und bezeichnenden Unterschied je-
doch, welcher die nordische Kunst von der italienischen jetzt
erst ganz entschieden trennte, dürfen wir schon hier nicht
gänzlich übergehen. Während die Italiener bei allem Natu-
ralismus doch immer eine gewisse höhere Abrundung des
Ganzen im Auge behalten, ihre Auffassung des Lebens gleicl1-
massig durchführen und das rein Zufällige mit feinem Sinne
zu vermeiden wissen, verfällt die nordische Kunst, seit ihrer
Umgestaltung durch die flandrische Schule, in eine grosse Un-
gleichartigkeit der Behandlung. Es mag einer künftigen, um-
fassenden Geschichtforschung vorbehalten sein, diese Unter-
schiede zur Deutung des Geisteslebens jener Zeit mit zu be-
nutzen, und die Anknüpfungspunlzte in der Literatur und in
der Geschichte der betreffenden Völker genauer nachzuweisen;
hier ist uns nur vergönnt, die Phänomene als solche zu er-
wähnen. Das Kunstbedürfniss, der Drang nach Form und
Gestaltung, war damals im Norden so gross und vielseitig
wie in Italien, sonst wäre nicht jedes Geräth des täglichen
Lebens bis auf Stuhllehnen und Thürbesehläge künstlerisch
gestaltet. worden. Aber in allen höhern Gattungen macht
sich vom Anfang des XV. Jahrhunderts an ein eigenwilliger,
phantastischer Zug geltend, welcher das Eine hervorhebt und
ausbildet, das Andere liegen lässt und vernachlässigt, welcher
das Zufällige als wesentlich, das Wesentliche als zufällig be-
handelt. Grosse, tiefpoetische Intentionen lassen Wohl hin
und wieder erkennen, dass es die Kunst eines überaus geist-
vollen, selbständigen Volkes ist, welche zu uns spricht, aber
kein einziges dieser Werke macht einen harmonischen Ein-
druck, weil der Grad der Durchbildung in den einzelnen
Theilen ein zu verschiedener ist. Bei einer oft erstaunlich
feinen und scharfen Durchführung aller Details fehlt es an
dem Sinn für die Grundlagen aller Körperdarstellung; Köpfe,
bei welchen der Maler vor lauter Streben nach dem Unmit-
telbaren und Wirklichen oft geradezu ins Portrait verfallen