Volltext: Franz Kugler's Handbuch der Geschichte der Malerei seit Constantin dem Großen (Bd. 2)

160. 
Leonardds 
Jugendbildung. 
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die Schauplätze, wo der Mensch seine grösste Thätigkeit ent- 
wickelt, und zeichnete in ein Skizzenbueh, dergleichen er 
immer bei sich trug, was ihm Interessantes auffielgk). Er 
folgte den Verbrechern zur Hinrichtung, um die Qualen der 
_grössten Verzweiflung in sein Inneres aufzunehmen; er lud 
Bauern in sein Haus und erzählte ihnen die läeherliehsten 
Dinge, um an ihren Physiognomieen den Ausdruck der gröss- 
ten Komik beobachten zu können. Mit demselben Eifer 
beobachtete er" auch die Erscheinungen der leblosen Natur. 
Von verschiedenen Schriften über die Kunst ist seine Ab- 
handlung über die Malerei (Trattato della pittura) auf unsere 
Zeit gekommen und noch immer ein sehr brauchbares 
Lehrbuch. 
Wenn diese Neigung zum sorgfaltigsten Studium auf 
der einen Seite den festen Boden zeigt, auf Welchem Leo- 
nardois Kunst wurzelte, wenn demgemäss charakteristische 
Auüllssung und Darstellung als dasjenige Element zu be- 
trachten ist, von welchem er insgemein auszugehen pflegte, 
so war ihm doch auf der andern Seite zugleich eine Tiefe 
subjectiver Empfindung, eine zarte, sentimentale Schwärmerei 
eigen, welche in gewisser Weise mit. dem Grund-Element der 
umbrischen Schule zu vergleichen sein mag. Es giebt ein- 
zelne Werke von ihm, in welchen die eine oder die andere 
Richtung vorherrscht; in seinen Hauptwerken dagegen 
erscheint beides in reinstem Ebenmaasse gegeneinander ab- 
gewogen, durch die Kraft des Gedankens und den Sinn für 
die Schönheit der Formen und ihrer Verbindung zu einer 
solchen Höhenstufe der Kunst geläutert, dass Leonardo un- 
bedingt einen der ersten Plätze unter den Meistern neuerer 
Kunst einzunehmen ermächtigt ist. Er, der das gemeine 
Leben bis. in seine feinsten Nüancen und Besonderheiten 
verfolgte, 
wusste 
zugleich 
das 
H eilige 
und 
Göttliche 
in 
einer 
4:) Einzelne Charakterköpfe und Caricaturen sind noch hier und da 
in Sammlungen, andere durch die Stiche von W. Hollaz: und Jac. 
Sandrart erhalten. S. die deutsche Uebers. des Vasarl, Bd. III, 
Abth. I, s. 16.   ' 
Kugler Malerei II.   8
	        
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