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Brich
III.
Italien.
XVI.
Jahrhundert.
159.
Behandlung aller Umgebungen des Lebens wie in der freien
Urbanität des Umganges mit Nothwendigkeit ausprägte. Aus
den Ueberresten des Alterthums und den Bedingungen der
Neuzeit schuf die Architektur einen Styl, welchem wohl der
innere Organismus fehlen mag wie allem Abgeleiteten und
Gemischten, z. B. der italienischen Sprache, der aber eine
neue Schönheit der Formen und einen edeln Rhythmus der
Verhältnisse entwickelte. Auch für Sculptur und Malerei war
jetzt die Zeit gekommen, sich in völliger Freiheit und Grösse
zu entwickeln. Die Jahrhunderte der kirchlich-politischen
Kämpfe waren für Italien vorüber; sie hatten eine gewisse
Indifferenz zurückgelassen, und selbst die Kirche verlangte
jetzt von der Kunst nicht mehr das Erbauliche als solches,
sondern vor Allem die schöne, lebendige Form, welche schon
an sich als ein Symbol alles Höchsten und Unvergänglichen
galt; überdiess hatte die profane Kunst durch Aufgaben aller
Art einen gewaltigen Aufschwung erhalten. Wie in der
ganzen italienischen Bildung war hier die Begeisterung für
das Alterthum von grösster Wichtigkeit; Poesie und bildende
Kunst bereicherten sich durch Gegenstände und Vorbilder
von unbestrittener, normaler Geltung. Bewundernswürdig ist
aber vor Allem die Freiheit und Selbständigkeit, womit sie
sich dieselben aneigneten. Von mühseligem Nachzeichnen
findet sich keine Spur, weil man dessen nicht bedurfte, denn
alles Einzelne der Formenbildung besass man schon als
eigene Errungenschaft; das Zeitalter Rafaels lernte nicht erst
von der Antike, sondern es fühlte sich auf wundersame Weise
von ihrem Geiste berührt, und nahm von ihr nicht das Zu-
fällige und.Nationale, sondern das Dauernde und Ewige an.
Und nun gelang es auch ihm selbst, Dauerndes und Ewiges
hervorzubringen.