Volltext: Franz Kugler's Handbuch der Geschichte der Malerei seit Constantin dem Großen (Bd. 2)

Aeussere 
Bedingungen. 
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dualität in ihren Schülern und Nachfolgern mit grösserer oder 
geringerer Kraft nachgewirkt hat. 
Die Zeitgeschichte, mit welcher diese wunderbare Blüthe 
der Kunst parallel geht, berechtigt beim ersten Anblick auf 
keine Weise zu so hohen Erwartungen; es war eine Zeit 
politischer Trennung und Zerfallenheit für Italien, es war 
die Epoche der Liguen, d. h. der bodenlosesten Experimental- 
politik, welche es je gegeben hat; damals setzte sich die Fremd- 
herrschaft über Italien auf Jahrhunderte hin fest. Allein das 
Höchste in der Kunst ist vom äussern Staatenleben nicht 
unmittelbar abhängig; neben den Eroberern und Politikern, 
welche damals seine Schicksale verwirrten, besass Italien 
Fürsten wie Papst Julius 11., Magistrate wie Pietro Soderini, 
Welche von der ewigen Bedeutung der Kunst ein lebendiges 
Gefühl hatten; es besass reiche Corporationen, welche durch 
sichere Bestellungen dem ganzen künstlerischen Dasein feste 
Regel und Gestalt gaben; endlich ein Volk, in welchem der 
Sinn für alles Grosse und Schöne wach geworden War und 
welches sich damals noch als die erste Nation der Welt 
fühlte. 
Die Bildungszustände des Südens im XV. und XVI. 
Jahrhundert in ihrer Eigenschaft als Grundlage der Kunst 
genauer zu prüfen, würde uns allzuweit in die geschichtlichen 
Fragen hineinführen, aber einige Bemerkungen dürfen nicht 
übergangen werden. Man betrachtet das damalige Italien 
gewöhnlich als einen Pfuhl der Sittenlosigkeit, allein man 
lässt die unendliche Frische und Spannkraft des Volkes ausser 
Berechnung, diese unzerstörbare Jugendlichkeit, Welche den 
obern Kreisen des Daseins immer neue Kräfte, neue sitt- 
liche Antriebe zuführte. Mochte die Sitte hie und da in der 
tiefsten Verdcrbniss begriffen sein, so blühte dafür. die Ge- 
sittung im vollkommensten Sinne des Wortes. Es bildete 
sich  nicht etwa bloss ein geselliges Uebereinkommen, son- 
-dern ein echtes Gefühl für Schönheit und Würde des 
Lebens aus, welches seit den guten Zeiten der alten Welt 
zu schlummern geschienen hatte, und sich nun in der Litera- 
tur und Poesie wie in der Gesellschaft, in der künstlerischen
	        
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