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Buch I.
Christl. Alterthum.
Spätrömischer Styl.
lerei sie von Anfang an nicht als Ideale darzustellen wagte,
sondern ihnen bildnissartig die Züge eines u. a. auch physisch
gesunkenen Volkes verlieh, wurde oben bemerkt. S0 ziehen
sich die Grenzen des Darstellbaren und des Darstellungsver-
mögens immer enger zusammen, und doch wird man noch
jeden Augenblick inne, von welcher Kunst diese Werke
der Nachklang sind. Schon die kolossale Grösse der Gestal-
ten erweckt in dem Betrachtenden das Gefühl eines ehrfurcht-
vollen Schauers; die ideale Gewandung und die gesetzmässi-
gen Linien, in welchen dieselbe gefaltet ist, geben den Ein-
druck einer höhern, von keiner Leidenschaft getrübten Natur.
Die wenigen Bewegungen, welche der Maler noch auszu-
drücken vermag, dienen ihm als Träger grossartiger Inten-
tionen: wenn Christus in der Linken die Evangelienrolle hält
und die Rechte segnend erhebt, so bezeichnet diess seine hei-
ligen Eigenschaften, denn er ist der Segnende, der Heiland;
wenn die Apostel und Heiligen mit aufgehobenen Armen auf
Christus hinweisen, so ist darin ihr Verhältniss zu ihm und
ein Theil ihrer Bedeutung für die Gläubigen ausgedrückt.
Allerdings fehlt dafür dem Antlitz, so individuell lebendig es
hie und da noch sein mag, der Ausdruck einer momentanen
Stimmung gänzlich und findet sich von da an erst im späten
Mittelalter wieder, nachdem schon lange ein neues Ideal ge-
WODIIÜH Vvar.
5. 14. In Ravenna ist aus der Ostgothenzeit kein Mo-
saik erhalten; auch das Bild des grossen Tlieodorich an der
Fronte seines Pallastes, welches ihn zu Pferde, mit Panzer,
Schild und Lanze zwischen den symbolischen Gestalten der
Rorna und der Ravenna darstellte, ist untergegangen wie die
Wandbilder seines Pallastes zu Pavia. Erst um die Mitte
des VI. Jahrhunderts beginnen wiederum die Denkmäler der
(lortigen Mosaikmalerei, allerdings also nach der Einnahme
von Ravenna durch die Byzantiner (Ende 539), allein ohne
dass man desshalb, wie wir sehen werden, schon jetzt den
Ausdruck nbyzantinisch" gebrauchen könnte. Es ist vielmehr
derselbe spätröinische Styl wie in den bisher betrachteten
Werken und wir haben durchaus keinen Grund zu vermu-