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Buch I.
Christ]. Alterthum.
Spätrömischer Styl.
aus dem XIII. Jahrhundert stammenden Mosaiks dieser Nische
Christus zwischen Petrus, Paulus, Lucas und Andreas
auch der des ursprünglich an dieser Stelle befindlichen ge-
wesen sei, so ist unläugbar nicht nur der grössere poetische
und symbolische Reichthurn überhaupt, sondern auch die
vielseitigere und gewaltigere Darstellung der Herrlichkeit
Christi auf der Seite des Triumphbogens; eine Wahrnehmung,
die sich uns noch mehrfach (larbieten wird. Von nun an
wird es nämlich Sitte, am Triumphbogen oder am Bogen über
der Hauptnische zu beiden Seiten eines Lammes auf dem
Throne, oder eines Brustbildes Christi apokalyptische Sinn-
bilder, Schaaren von Engeln, Aposteln, Heiligen und Aelte-
sten zu häufen, während die Nische sich mit wenigen statua-
rischen Gestalten sich begnügen muss, welche grade nur auf
die betreffende Kirche Bezug haben, nämlich die Namens-
heiligen derselben, die Donatoren und in der Mitte Christus.
Das NIosaik von S. Paul deutet uns übrigens in mehr
als einer Beziehung einen nicht unwichtigen Üebergangspunkt
an. Die Sinnesiveise der alten Kunst klingt hier schon nur
noch aus der Ferne nach; der Erlöser, zu dessen halbidealer
Darstellung jenes Bildniss der Calixtusgruft noch der nackten
Brust bcdurft hatte, erscheint hier bis an den Hals bekleidet f).
Die Stelle der nackten Kindergenien nehmen jetzt in ganz
veränderter Bedeutung die Engel ein, hohe jugendliche G9-
stalten mit Flügeln, vollständig bekleidet und bisweilen durch
Stäbe als Herolde Gottes bezeichnet. Die frühere christliche
Symbolik mit der idyllischen Scencrie des guten Hirten und
dem heitern dekorativen Spiel weinbereitender G-enien u. s. w.
hat Abschied von uns genommen und das phantastische, my-
thisirende Element, welches jede religiöse Kunst zu begleiten.
ü) Man kann hier an übertriebene Decenz und an künstlerisches
Unvermögen in Betreff des Nackten denken; Wesentlicher aber hat
ohne Zweifel die Absicht gewirkt, die Gestalt nicht mehr halbmythisch,
götterähnlieh, sondern historisch-wirklich zu geben. Daniel und Jonas,
welche bei den Katakombenmalern noch meist nackt auftreten, als
mythologische Vertreter Christ-i, erhalten später, wo es sich um ihre
eigene, historische Darstellung handelt, ebenfalls ihre Bekleidung.