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Buch
Christl.
Alterthum.
ihre andere Seite habe. Jene grosse Verallgemeinerung,
Welche den griechischen Kunstformen unter der Römerherr-
schaft zu Theil geworden war, hatte ihnen in der That viel
von der Kraft ihres geistigen Gehaltes genommen. Statt den
dargestellten Gegenstand unmittelbar zu bezeichnen, waren
sie häufig zu blossen Trägern des allgemeinen Begriffs, zu
Symbolen im umfassenderen Sinne, geworden. Sie beschäf-
tigten mehr den Gedanken, als dass sie unmittelbar auf das
Gefühl wirkten. J e mehr der naive Glaube an die alte Mythe
verfiel, um so mehr wuchs diese rein symbolische Anwendung
der alten Kunsttypen. Der letzte Aufschwung der alten
Kunst, den wir von der spätern Zeit des zweiten Jahr-
hunderts n. Chr. G. an besonders aus den Reliefs der Sarko-
phage kennen, zeigt uns dies aufs Deutlichste. Die Mythen
des Meleager, der Niobiden, die von Amor und Psyche
u. s. w. werden hier nicht mehr vorgestellt, um dem Besehauer
die poetische Existenz dieser Personen und ihrer Schicksale
zu vergegenwärtigen, sondern um unter solchen Bildern die
Gedanken des Unterganges, des Todes, des zukünftigen ge-
läuterten Daseins auszudrücken. Die mythische Form des
Vortrages war ein fast unschuldiger Behelf zum Ausdruck
des reinen Gedankens.
Indem sich solchergestalt das Band zwischen Kunst und
heidnischer Religiosität aufzulockern begann, musste die
erstere auch für die Christen einen Theil ihres gefährlichen
Charakters verlieren. Man konnte es wagen, dem Kunst-
bedürfniss zu genügen und über die Beschaffung der schlich-
testen Symbole hinauszugehen. War man durch diese schon
auf ein bestimmtes Feld künstlerischer Anschauungen ge-
führt worden, so diente die symbolisirende Kunstthätigkeit,
die sich gleichzeitig für heidnische Zwecke immer mehr gel-
tend machte, dazu, ähnlich Umfassendes auch für christliche
Zwecke zu versuchen. Blieb die unmittelbare Vergegen-
wärtigung des Heiligen, zumal bei der entschieden spirituellen
Tendenz der Zeit, misslich, so konnte man doch symbolische
Darstellungen finden, die, gleich jenen heidnischen Sarkophag-
Reliefs, den Inhalt der neuen Lehre vielgestaltig, ansprechend