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Franz
Theodor
Ku gler.
trat, um sich zum Zeiehenunterrieht anzumelden, fasste der
Verfasser des „Polyklet" den Kopf des Schülers fest ins
Auge und begann, jede Antwort vergessend, ihn zu betasten.
Dann erbat er sich zur gelegenen Zeit erneuten Besuch, weil
er die interessante Kopfform messen müsse. Das Antlitz
Kugleifs trug den Ausdruck des freundlichsten Wohlwollens
und strahlte von blühender Gesundheit. So lebt sein Bild in
allen, die ihn im Leben kannten.
Die gTOSSG Lücke, welche bei allen diesen näher um ihn
Vereinigten im Herzen entstand, als er so unerwartet heim-
ging, wird nun auch mehr und mehr fühlbar in dem weitern
Kreise des von ihm beherrschten wissenschaftlichen Gebiets.
Nach seinen Schriften griff" zuerst, Wer das Studium der Kunst
begann, an ihn knüpfte jede spätere Leistung an; ihm wurde,
selbst. aus der weitesten Ferne, jede Entdeckung, Beobachtung,
jedes Einzelstudium zugetragen, sei es, um es in seiner Meister-
hand für die richtige Einarbeitung in das Ganze sicher zu
wissen, sei es, um von ihm die richtige Schätzung des Ge-
leisteten zu begehren. Wo in seinen Schriften eine ge-
wünschte Auskunft nicht zu finden war, da fragte man ihn
selber. Aus seinen Schriften aber floss seine Lehre und seine
Üeberzeugung auf redlichem und unredlichem Wege in alle
kunstwissenschaftlichen Bildungsvehikel über. Sehwerlich ist
nach seinen Büchern irgend ein kunstwissenschaftliches Werk,
es sei in welcher Sprache es wolle, erschienen, welches nicht
auf ihn zurückverwiese, sich nicht auf ihn als einen sichern
Gewährsmann stützte.
vergegenwärtigen wir uns, wie es vor ihm um seine
"Wissenschaft. stand. Es war Manches, Vieles gearbeitet
Werden, eine Menge von Einzelforschungen lagen vor, da-
gegen waren andere Strecken des Gebiets ganz vernachläs-
sigt worden und lagen unangebaut da. Verschiedene Ver-
suche, wenigstens besondere Partien zusammenzufassen, waren
nur von Gesichtspunkten aus gemacht worden, welche, nicht
auf der Höhe allgemeiner Anschauung gelegen, nur einen
beschränkten Umkreis gewährten. Dichter, Maler, Kritiker,
Dilettanten hatten, allerdings zum Theil in beachtenswerther