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Buch II.
Mittelalter.
Italien.
Gothischer Styl.
ner Frömmigkeit und Beseligung auf das Mannigjfaltigste ab-
zustufen. In diesen Gestalten leitet ein harmonischer Rhyth-
mus alle Bewegungen (vornehmlich wo sie sich im lilalten-
wurfe der Gewandung äussern), die heitersten Farben sind,
wie in einem Frühlingsgarten, für die Gewänder dieser Ge-
stalten gewählt, und mit zartem, harmonischem Schmelz be-
handelt, die reichste Fülle zierlicher Goldornamente, die das
Auge wie in einem wundersamen Schiller befängt, ist über
das Ganze ausgegossen- Alles, was nur zur Verherrlichung
des Heiligen dienen kann, ist in diesen Gemälden angewandt.
Mit einer eigenen religiösen Scheu hält der Künstler an der
ihm überlieferten Darstellungsweise fest und wagt es nicht,
Neuerungen, wie sie zu seiner Zeit bereits in Florenz be-
gannen, in die Kunst einzuführen; diese würden ein stören-
des Element in die kindliche Seligkeit seines Gemüthes ge-
bracht haben. Fiesole ist, wie gesagt, der Vollendetste in die-
ser Richtung, zugleich aber auch derjenige, bei welchem die-
selbe in ihrer Einseitigkeit am Schärfsten hervortritt. Er ist
unerreichbar, wenn er Engel und Selige in begeisterter Ver-
klärung darstellt; er ist gross in der Darstellung aller pas-
siven Empfindungen, denn auch den tiefsten Seelenschmerz
weiss er auszudrücken; aber er ist schwach, zaghaft und, es
darf nicht geläugnet werden, er ist kindisch befangen,
wenn Menschen in ihrer Menschlichkeit, in irdischer Leiden-
schaft vorgeführt werden sollten. Nicht bloss der Groll und
die Raehbegier in den Feinden Christi, jedes entschiedene
Handeln überhaupt ist in den Bildern, wo dergleichen erfor-
dert ward, mangelhaft ausgedrückt; es fehlt seinen Gestalten
sogar, auch wo diese sich momentan in vollkommener Ruhe
befinden, die Kraft zur That und sei es die höchste und hei-
ligste, wie namentlich seine Darstellungen Christi, desjenigen,
in dessen Gestalt ebensosehr menschliche Kraft wie göttliche
Heiligung hervortreten müssen, bei aller Schönheit und Milde
ganz ungenügend sind. Mit diesen Mängeln hängt sein man-
gelhaftes Bewusstsein vom Organismus des Körpers zusam-
men, dessen unterm Theil gewöhnlich diejenige Entschieden-