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Buch II.
Mittelalter.
Italien.
Gothischer Styl.
113.
wärtig in Siena (wie es scheint) an verschiedenen Orten zer-
streut ist, und welches auf dem Mittelbilde, einer Madonna
mit dem Kinde, die Namensunterschrift des Künstlers führt;
die Seitentafeln enthalten zahlreiche Figuren von Propheten
und Heiligen. „Die Weise der Anschauung, die diesem gan-
zen WVerke zu Grunde liegt, ist bei weitem ernster, tiefer,
ergreifender, als wir sie bei den meisten F lorentinern finden,
und Ruhe, Würde, Adel, mit einem Worte: Heiligkeit, spricht
aus allen Gestalten und deren Bewegungen. vorherrschend
ist das Gefühl für Schönheit und Feinheit der Züge, die
durchaus ideal gehalten sind; die Zeichnung sicher, aber
nicht ohne Blangel. Von eigentlicher Rundung ist keine
Rede, doch sind Licht- und Schattenmassen gesondert und
für den Ausdruck benutzt. Dieser selbst ist überall von
durchdringender Innigkeit und Wahrheit, und wunderbar
zieht über alle Gesichter ein sanfter Duft, der uns die Hei-
ligen in eine (obschon leuchtende) Ferne rückt, ein Gefühl
fast unwiderstehlicher Sehnsucht im Beschauer rege macht
und uns einen Blick in die ahnungsreiche, nur von durch-
sichtigem Schleier umwobene Seele des Künstlers thun lässt,
der, ausgerüstet mit den Anlagen zu höchster Vollendung,
noch in der Macht der ungeübten und unfreien Kindheit der
Kunst gehalten wird." WVas die Ausführung betrifft, so ist
das Ganze ungemein zart gemalt, in der Carnation (bei vor-
herrschend grünlicher Untermalung) sorglichst, fast email-
artig beendet, die Haare mit eigener Feinheit mehr gezeichnet
als gemalt; zugleich ist ein reicher Schmuck von zierlichen
Ornamenten vorhanden und namentlich Perlen und Edelsteine
mit grösstei" Sauberkeit ausgeführt.
. Dieselbe Innigkeit des Ausdruckes und Eigenthümlich-
keit der Ausführung trägt ein grosses, von zahlreichen Hei-
ligen umgebenes Madonnenbild, welches im Gerichtssaale des
öffentlichen Palastes zu Siena ursprünglich von einem
älteren Meister auf die Wand gemalt und vonSimone um
1330 wiederhergestellt, oder vielmehr, wie es scheint, gänz-
lich neu gemalt ist. Leider ist dasselbe in späterer Zeit
mannigfach roh ausgebessert. Noch einige andere Bilder