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Buch II.
Mittelalter.
Italien.
Gothiseher Styl.
in welcher vorzugsweise das Gemüth des schaffenden Künst-
lers hervortritt, und die wir bereits mit der lyrischen Poesie
verglichen haben. Das Gemüth, das innere Leben der Seele,
bedarf, um sich in ausserer Erscheinung zu betlIEi-tigen, nicht
verschiedenartig charakteristischer Typen; es hat. es nicht
vorzugsweise mit den Erscheinungen des Lebens in ihrer
mannigfachen Besonderheit und in ihren gegenseitigen Be-
zügen zu thun; der Ausdruck des Gemüthes, der allerdings
zwar bis an die Oberfläche der körperlichen Form durch-
dringt, ist von dieser nicht eigentlich abhängig.
So sehen wir denn, als nächstes Resultat dieses allge-
meinen Gesetzes, in jener zweiten Richtung der gegenwär-
tigen Periode Vieles von den künstlerischen Motiven, der
vorangehenden, die vornehmlich auf altchristlichen Ueber-
lieferungen beruhte, beibehalten; jedoch nicht bloss, weil man
das Bedürfniss, dieselben zu verlassen, nicht fühlte, sondern
weil allerdings zugleich das Ideale und grossartig Abgeschlos-
sene dieser Gebilde den Ausdruck vorwaltender Gemüths-
stimmung vorzugsweise begünstigte. Dessenungeachtet musste-
jedoch auch hier, statt jener eigenthümlichen Strenge und
Härte der byzantinischen KunstKdie, wie wir sahen, schon
beim Duccio beträchtlich vermindert war) derselbe weichere
Styl Eingang finden, über den bei der Charakteristik Giotto's
bereits näher gesprochen ist, und um so mehr, als er der
schwärmerischen Sentimentalität, welche die in Rede stehende
Richtung der Malerei, wie alle Lyrik jener Zeit, charakterisirt,
einen um so vollkommneren Ausdruck gestattete,
Vornehmlich bei den Sienesern hat sich diese Richtung
zu eigenthümlicher Schönheit ausgebildet An der Spitze
i?) Hier müsste des Ugolino da Siena gedacht werden, welcher
im Jahre 1339 hoehbejahrt starb. Von seinem einzigen sicheren Werke,
dem Hoehalfar von Sta. Croce in Florenz waren im Jahre 1835 noch
die wichtigsten Tafeln (Halbflguren Von Heiligen, und an der Altar-
staifel kleine Passionsbilder) in der seitdem zerstreuten Sammlung von
Yonng Ottley in London vorhanden. (Vgl. Waagen, Kunstw. und
Künstler in England, I, S. 393 und Crowe u. Cavalcaselle I, 162,