110.
Pisa;
das
Campo
santo ;
Orcagna.
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lischen Gnade; schüchtern und fast erschreckt über die Worte
einer ewigen Verdammniss, wendet sie sich ab und zeigt in
Gesicht und Geberde nur den Ausdruck heiligen Schmerzes
um die Verlorenen. Zu beiden Seiten sitzen die Väter des
alten Bundes, die Apostel und andere Heilige neben ein-
ander, strenge und feierlich würdige Gestalten. Ueber Chri-
Stus und Maria schweben Engel mit den Instrumenten der
Passion. Unter ihnen ist eine streng rhythmische Gruppe
andrer Engel, welche die Todten aus ihren Gräbern rufen;
zwei von diesen blasen die Posaunen; ein dritter hüllt sich
zitternd vor dem ungeheuren Schauspiele in sein Gewand.
Tiefer hinab ist die Erde, wo die Menschen aus den Gräbern
auferstehen; gepanzerte Engel weisen die Erstandenen zur
rechten und zur linken Seite. Hier sieht man, in der Mitte,
den König Salomo, der, indem er sich erhebt, noch zweifel-
haft ist, nach welcher Seite er sich wenden müsse; hier sieht
man einen scheinheiligen Mönch, der durch einen Engel aus
der Schaar der Gebenedeiten an den Haaren zurückgezogen
wird, und einen" Jüngling in weltlichen Kleidern, den ein
andrer Engel -von der Seite der Verdammten zu jenen über-
führt. Die Seligen und die Verdammten erheben sich auf
beiden Seiten des Gemäldes in gedrängten Schaaren überein-
ander; die Qualen der Verzweiflung sind in den Geberden
der letzteren, die Flammen der Hölle stürmen auf sie ein und
Teufel zerren bereits an ihren Gewanden. Auch hier sol-
len, unter seligen" und Verdammten, mannigfache Portraits
von Zeitgenossen enthalten sein, doch ist uns über die Ein-
zelnen nichts Näheres berichtet. Jene Motive der Bewegung
in den Gestalten Christi und der Maria sind nachrnals von
Michelangelo in seinem berühmten Gemälde des Weltgerich-
teg zu Rom Wiederum aufgenommen worden; aber es steht,
trotz der Vollendung seiner Formen, beträchtlich gegen die
hohe Würde des alten Meisters zurück. Auch die Anord-
nung der Patriarchen und Apostel hat späteren Meistern,
namentlich dem Fra Bartolommeo und Raphael, zum Vor-
bilde gedient.
Die dritte
Darstellung ,
welche
sich
unmittelbar
der