Giotto.
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z. B. bei Duccio schon das Herannahen eines vollendeten
Idealismus anzukündigen schien, hat Giotto die Kunst wieder
Weit ab auf andere Bahnen geführt. Ihm war es überhaupt
weniger um Schönheit, als, zur Verständlichung seiner neu
erfundenen Darstellungen, deren Bedeutung durch keine ältere
Ueberlieferung gegeben war, um Charakteristik zu thun.
Doch sieht man im Einzelnen auf seinen Gemälden manche
anmuthige Köpfe, und das Ganze ist stets in schönen Ver-
hältnissen, WO es nöthig war auch in einer eigenthümlich
feierlichen, einfach melodiösen Weise geordnet. Seitdem
Untergange der alten Kunst zeigt sich hier zum erstenmal
Wieder ein zu gesetzmässiger Durchbildung gelangtes Gefühl
für schöne Vertheilung im Raum, welche er mit der Leben-
digkeit des Ganzen in Einklang zu bringen wusste. Die
Ausführung im Detail ist freilich durchweg meist flüchtig und
mehr andeutungsweise; es konnte auch diese seinen beson-
deren künstlerischen Absichten minder nahe liegen. Das
Bindemittel, dessen er sich zum Farbenauftrage bediente, ist
flüssiger und minder zähe als das bisher gebrauchte und
gestattete der Hand eine grössere Leichtigkeit; auch hat das-
selbe Wenig nachgedunkelt.
Sein höchstes Verdienst bleibt immer, wie wir bei den 2.
Fresken in Padua angedeutet, dass er der Kunst eine Menge
völlig neuer Gegenstände zugeführt, an allen Handlungen und
Situationen das Geistige und Lebendige gefunden und hervor-
gehoben und den Moment wie kein früherer Maler der christ-
5011911 Zeit darzustellen gewusst hat. Ein anderes, kaum 3.
minder wichtiges Element ist bei ihm die Charakteristik, und
er hat dieselbe mit so glücklichem Erfolge geübt, dass seine
Zeitgenossen wohl gerade durch diesen Umstand von der
bisher ungekannten Lebendigkeit seiner Darstellungen über-
rascht wurden. (Seine Wenigen Bildnisse haben eine innere
Gewähr lebensvoller Aehnlichkeit; jenes abgesagte Frescobild
jetzt in der Kirche des Laterans welches Bonifaz VIII.
zwischen zwei Geistlichen, das J ubileum verkündigend, dar-
stellt, lässt in den Zügen des Papstes eine geistvolle Ver-
einigung von Schlauheit und Festigkeit mit würdigen Formen