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Buch II.
Mittelalter. Italien.
Gothischer Styl.
setzen, welche sich die neue Bildungsweise etwas früher an-
eignete als die Malerei; auch darf man, wie schon bemerkt,
die Herrschaft eines französischen Fürstenhauses in Neapel
damit in Verbindung bringen. Im Grossen und Ganzen aber
ist diese Metamorphose als eine einheimische zu betrachten,
welche von ähnlichen geistigen Grundlagen ausging wie im
Norden, und desshalb auch ein analoges Resultat hatte. Es
ist auch hier eine Vollendung und ein Schlussstein des rein
mittelalterlichen Kunstlebens. Diejenigen wesentlichen Be-
züge, in welchen der italienisch-gothische Styl mit dem nor-
disch-gothischen zusammenstimmt, sind desshalb auch weniger
äusserlicher und materieller als geistiger Art; sie liegen in
einer gesetzmässigen, auf das Allgemeine gehenden, vom Zu-
fälligen absehenden, vorherrschend statuarisch feierlichen For-
menbildting, in einer principiell einfachen, auf das Wesent-
liche gerichteten Anschauungsweise, in der diesem Zeitalter
eigenen Gefühlsrichtung. In einzelnen Fällen konnte daher
Giotto mit WVilhelm von Köln ganz nahe zusammentreffen.
Um so weiter gehen aber diese Schulen in anderen Bezie-
hungen auseinander, wie schon oben angedeutet wurde. Die
weitere Schilderung wird zu zeigen haben, Wie sich hier der
Stimmungswelt der nordischen Kunst gegenüber eine Welt
der That entwickelte, Welche zugleich das Gebiet der Stim-
mung mit umfasste und Conceptionen der wunderbarsten
Grösse und Fülle hervorbraehte. Als äusseres Moment ist
nicht zu übersehen, dass die italienisch-gothische Architektur
sich viel eher als die deutsche grossen Wandgemälden
bequem erwies. Auf dieser Gattung aber ruht hier geradezu
das Gewicht der Schule.
g. 101. Wir betrachten nunmehr die zunächst folgende
Periode der neueren Kunst, in welcher die neue, subjektive
Auffassungsweise vorherrschte. Toskanzt, derjenige Land-
strich Italiens, dem schon die grössten Namen der vorigen
Periode angehört hatten, behauptet auch jetzt den vornehm-
sten Platz in der Entwickelung dieser neuen Kunstperiode,
Zwei Hauptrichtungen oder Schulen lassen sieh hier
unterscheiden; der Mittelpunkt der einen ist Florenz, der