316
Buch II.
Mittelalter.
Italien.
Romanischär Styl.
9. Von sehr verschiedenen Händen und aus verschiedenen Zeiten
sind die Mosaiken der grossen achteekigen Hauptkuppel,
Welche in mehrern concentrischen Streifen angeordnet sind,
Wovon der innerste Schaaren von Engeln, der zweite die
{Geschichten der Genesis, der dritte das Leben Josephs, der
vierte das Leben Christi und der fünfte das des Üfiiufers Jo-
10- hannes enthält. Zunächst vor der Nische werden diese
Streifen unterbrochen durch einen thronenden Christus von
riesiger Grösse, Welcher nebst den Engelschaaren das Werk
eines bei den griechischen Musaicisten in Venedig gebildeten
Florentiners Andrea Tafii") (l213-1294) sein soll. Es
ist eine Gestalt von streng byzantinisehem Typus, allein mit.
einer gewissen Formenfülle und Würde, welche von der ver-
trockneten Schwäche der damaligen Byzantiner sehr verschie-
den ist. Die Ausführung ist fein und zierlich, die Gold-
ILsehrafIirung sehr consequent durchgeführt. Bei andern
Theilen der Kuppel soll der Grieche Apollonius mitge-
arbeitet haben, welchen Tafi (nach Vasarfs Aussage) zur
Üebersiedlung von Venedig nach Florenz bewogen hatte. Schon
diess ist unzuverlässig; wenn man aber den Apollonius zu
einer ganzen Schule von Griechen in Florenz erweitert und
deren Einwanderung mit dem Fall von Konstantinopel in
Verbindung bringt, so steht diess Alles in der Luft. Aller-
dings War Venedig in jener Zeit die nächste Quelle eleganter
und feiner byzantinischer Mosaiktechnik; aber es ist sehr
die Frage, ob auch nur in Venedig eine grössere Anzahl
geborener Griechen arbeiteten und 0b nicht vielmehr selbst
die venezianisch-byzantinische Kunst schon seit Anfang des
XII. Jahrhunderts sich selbst überlassen geblieben warmii).
Ueberhaupt legt man Wohl auf jene letzte griechische Künstler-
übersiedelung ein zu grosses Gewicht. Das plötzlich schei-
nende Auftauchen byzantinischer Kunstformen in Toscana zu
ü) Ueber Malereien eines gleichzeitigen florentincr Künstlers Coppo
di Mareovaldo in Siena (S. Maria di Servi) 11- Pistoja S- CYOWC 11-
Cavalcaselle I, 200.
am) S. Rumohr, a. a. O. I, S. 349 u. f.