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Buch II.
Mittelalter.
Italien.
Romanischer Styl.
weissem, theils auf Goldgrund, in sehr reicher Reihenfolge die
Geschichte des alten Testamentes von der Yveltschölafung bis-
auf Moses dar, welche ohne Unterschied in die Flachkuppeln
wie in die Lunetten und Gewölbebogen verweilt sind Die
Ausführung ist sorgfältig, aber bei Weitem nicht so zierlich
und fein wie in der capella Zeno; dagegen tritt die neue,
fast ganz abendländische Kunstrichtung hier mit so über-
raschender Fülle hervor, dass man diese Arbeiten wohl als
eines der Hauptwerke des ganzen romanischen Styles bezeich-
nen darf. Zahllose neue malerische Motive sind hier in F or-
men ausgedrückt, welche zwar hie und da an das Byzan-
tinische, öfter noch an altchristliche Auffassung zinklingen,
der Grundlage nach jedoch die Aeusserungen eines ganz
neuen Bewusstseins sind. Die weiche, runde Körperbildung,
die Hiessende Gewandung, namentlich _die bisweilen sehr aus-
drucksvollen Köpfe und die freien Bewegungen sind wieder
einmal der Anschauung, nicht der blossen Tradition entnom-
men und zeigen ein bisher in der venezianischen Kunst un-
bekanntes Leben. Die historischen Vorgänge sind deutlich
und geistreich entwickelt, die Geberden und Beziehungen
sprechend und klar. Manches Einzelne ist auch archäologisch
wichtig; die jugendlichen Erzengel, welche bei der Schöpfung
die Stelle Gottes vertreten, erinnern an antike Victorien;
Einer unter ihnen ist durch Kreuz und Nimbus ausgezeich-
net; besonders enthält die Geschichte Josephs merkwürtlige
Darstellungen ü).
5. Vor der Hand fand dieses so bedeutende Vorbild Wenig
4') Das Verzeichniss dieser Mosaiken s. im Tübinger Kunstblatt,
1831, N0. 32 und 33. Rumohr (ital. Forsch. 1., S. 175) ist zwar
der Meinung, dass dieselben saxnmt der Vorhalle noch den Zeiten des
griechischen Exarehates (des VI. und VIL Jahrhunderts) allgßhöfßm
Doch ist es nicht füglich annehmbar, dass die Vorhalle älter sei als das
übrige Kirchengebäude, auch würden einzelne mittelalterliche Trachten
auf eine viel neuere Zeit hindeuten, selbst wenn der Styl nicht so gänz_
lich von den beglaubigten Werken der Exarchenzeit (z. B. S. Apollinare
in elasse bei Ravenna) abwiche. Bei diesem Anlass bemerken wir,
dass diese Mosaiken hie und da von neuern Arbeiten aus der Zeit der
Vivarini und des 'I'itian unterbrochen werden.