Venedig,
Vorhalle
VOD
San
Marco.
307
hatte. Hier bietet sich das eigenthümliche Schauspiel dar,
dass ein kühner und jedenfalls nicht unbedeutender Geist die
Ueberlieferung mit einem grossartigen Werke durchbricht,
dass aber seine Nachfolger wieder mehr in die alten Formen
zurückfallen.
Schon das grosse Mosaik des Domes in dem nahen 2.
Torcello, welches die Auferstehung der Todten und das
Weltgericht darstellt und dem XII. Jahrhundert angehören
Soll, zeichnet sich durch eine grössere Lebendigkeit der Dar-
stellung und durch Fülle der Gedanken aus. Üngleich wich- 3.
tiger aber sind. die Mosaiken in den Kuppelgewölben und
Lunetten der Vorhalle von San Marco in Venedig selbst.
Ein Theil dieser Vorhalle, die capella Zeno, zeigt in den
Mosaiken ihres Tonnengcwvölbes und ihrer Nische das Leben
des h. Mareus und eine Madonna zwischen zwei Engeln, Ar-
beiten von allergrösster byzantinischer Eleganz und Sauber-
keit, welche nieht nur alles Gleichzeitige, sondern auch die
meisten frühern Werke um ein Bedeutendes übertrifft. Die
Goldlichter der Gewänder, die Köpfe, kurz alle Einzelheiten
sind mit der ausserordentlichsten Sorgfalt ausgeführt. Merk-
würdiger Weise macht sich in der noch durchaus befangenen
Form ein frischer, abendländischer Geist bemerkbar; die Be-
wegungen und Beziehungen der Figuren sind lebendiger, die
Auffassung edler und runder als in den byzantinischen Wer-
ken. Diese Mosaiken, welche man noch dem XII. Jahrhun-
dert zuschreiben mag i), bilden den Uebergang zu denjenigen 4-
der Vorhalle zunächst vor den drei innern Thüren so wie
längs der linken Seite der Kirche, und diese mögen wohl
erst dem XIII. Jahrhundert angehören. Sie Stellen theils auf
ü) G. Piazza (la regia basilica da" S. Marco, Venedig 1835) ver-
setzt sie ins XVI. Jahrhundert, wahrscheinlich bloss weil die Kapelle
damals eine neue Bestimmung und einige Veränderungen erhielt. Der
Styl macht diese Annahme unmöglich. Von ähnlichem Styl und
nicht viel geringerer Zierlichkeit ist die Translation des h. Marcus an
einer Wand des rechten Kreuzarms (vgl. S. 86) und derselbe Gegen-
stand in der äussersten Wandnische links, an der Vorderseite der Kir-
che, beides sehr figurenreiche Compositionen.
20a