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Der Norden. Gothischer Styl.
Buch II. Mittelalter.
liehen Styl hauptsächlich durch Paul von Limburg und seine
Brüder ausgeführt wurde, ist im Besitz des Grafen von
St. Mauris in Paris). Ein hierhergehöriges Psalterium der
Aschaiienburger Hofbibliothek beschreibt Waagen (Kstm in
Deutschl. etc. I. S. 379).
l1. Endlich beweist eine aus Holland stammende Apoka-
lypse aus dem Anfange des XV. Jahrhunderts, dass in den
nördlichen Niederlanden der realistische Sinn, durch Welchen
ihre Malereiuzweihundert Jahre später ihre höchsten Erfolge
erringt, schon damals in der Kunst sehr deutlich ausgebildet
gewesen ist. Zwar liegt den heiligen Figuren noch ein Typus
zu Grunde, welcher, die kurzen Verhältnisse ausgenommen,
mit dem des WVilhelm von Köln verwandt erscheint, oft jedoch
in eine gewisse unschöne Derbheit ausartet; in den Profan-
liguren ist vollends schon ein sehr ausgebildeter Naturalismus
zu bemerken. Ausdrucksvolle Köpfe und überaus sprechende
Geberden und Bewegungen kommen dem Künstler zu Hülfe;
auch der landschaftliche Hintergrund ist schon sehr ausge-
bildet; dagegen sind die Farben dunkel, bunt und dabei matt.
ä. 88. Vergleicht man nun die bisherigen Ergebnisse
der nordischen Malerei des gothischen Styles abgesehen
einstweilen von der flandrischen Schule mit dem Zustande
der italienischen Kunst in den letzten Zeiten des XIV. Jahr-
hunderts, so lässt sich nicht läugnen, dass letztere, welche
noch um die Mitte des XIII. Jahrhunderts im Nachtheil ge-
wesen war, jetzt in mehrern wichtigen Beziehungen schon
den Vorsprung gewonnen hatte. Diese Verschiedenheit der
Ausbildung kömmt Weder von dieser noch von jener ein-
zelnen Ursache her, sondern sie ist eine culturgeschichtliche
Thatsache, die mit den tiefsten Grundlagen des Völkerlebens
zusammenhängt, und die wir vor der Hand höchstens durch
Analogien zu belegen im Stande sind. Die Schulen von
Prag, Nürnberg und Köln hatten den idealen Zug, welcher
schon den streng gothischen Styl belebte, zu einer hohen und
bewundernswerthen Reife gebracht; kein gleichzeitiger Italiener
steht an edelm Ernst des Ausdruckes den alten Nürnbergern,