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Buch II.
Mittelalter.
Der Norden.
Gothischer Styl.
sonen nur ein Tod, oder die Tanzbewegung ist weggelassen,
u. dgl. Verschiedenheiten mehr. Wahrscheinlich gab die
furchtbare Pest, welche 1348 und 1361 Europa verheerte, den
ersten Anlass zu diesen sonderbaren Malereien, welche für
eine sonst auf Anmuth und Milde gerichtete Kunstepoche
wie diese doppelt befremden können. Auch in Italien hatte
jenes schauerliche Hinsterben eines Drittheils der Menschheit
die bildende Kunst eigenthümlich angeregt, und Orcagna (oder
P. Laurati i?) hatte in jenem berühmtenWandgemälde des Campo
Santo zu Pisalil trionfo della morte) einen Gedanken durchge-
führt, welcher mit den deutschen Todtentttnzen wenigstens die
Grundlage gemein hatx). Nur war es ihm gelungen, den Gegen-
stand von seinen höchsten poetischen Beziehungen aus zu
fassen und in einem gewaltigen Bilde zu verkörpern, wäh-
rend die deutschen hialer sich hier einer trüben, phantastischen
Befangenheit hingaben, welche bei diesem Anlass zum ersten-
rnal entschieden und ohne Rückhalt zu Tage tritt, später
aber die nordische Kunst bis tief ins XVI. Jahrhundert be-
ständig verfolgt hat. Eine uralte Redensart, die möglicher
Weise noch auf mythischer Grundanschauung beruht, dass
nämlich der Tod die Menschen zu einem Tanz abhole, ist
hier in vielmal wiederholter Darstellung zu einem Cyclus von
Malereien benützt, dessen Eintönigkeit nur hie und da. durch
Züge individuellen Lebens oder skurrilen Humors unter-
brochen wird. Allerdings nur hie und da, denn die ältesten
Beispiele, um welche es sich hier handelt, sind weit entfernt
von dem phantastisch-genrehaften Reiz und von der tiefen
Poesie, mit welcher später Holbein diesen Gegenstand be-
kleidet hat; vielmehr zeigt sich auch hier die tiefe Kluft,
Welche in dieser Glanzzeit des gothischen Styles zwischen
der Behandlung religiös-idealer und rein irdischer Gegen-
'16) Ueber ein italienisches Wandgemälde (angeblich v. 1480)
von bedeutendem Kunstwerth, das die Motive Oreagnafs mit denen des
deutschen Todtentanzes vereinigt (in der Kirche von Clusone, Pro-
vinz Bergamo), siehe Kunstblatt 1846, S. 232, und über ein hol-
ländisches zu Bommel im Gelderland, dem vorigen ganz analog.
Kstbl. 1s47, S. 30.