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Buch II.
Mittelalter. Der Norden.
Gothischer Styl.
überlassen haben mochte, zeigen ein neues, glückliches Stre-
ben zu weiterm Fortschritte in der Formenbildung und stehen
bereits den (vermuthlichen) J ugendbildern des Meister Stephan
nahe. Selten wird sich an einem und demselben WVerke das
Entstehen und die Fortbildung einer Schule in einer so merk-
6. würdigen Folge nachweisen lassen wie hier. Ein grosses
Wandgemälde in der Sakristei von S. Severin in Köln
verräth ebenfalls die Hand Wilhelms; es stellt auf dunkelm
Grunde Christus am Kreuze dar, zu dessen Seiten links (vom
Besehauer) die HH. Severinus, Petrus und llilaria, rechts
Johannes, Paulus und Margaretha stehen, sämlntlieh in Le-
bensgrösse; unten kniet in kleinerer Figur der geistliche Do-
nator; oben schweben sehr kleine Engel um das Kreuz,
theils das Blut Christi auffangend, theils in klagenden Ge-
berden. Diese Engel haben hier einen Typus, welcher der
kölnischen Schule fast ausschliesslich eigen, hier übrigens mit
besonders anmuthiger Naivetät durchgeführt ist; ihre nur halb
angedeutete Gestalt verliert sich in weiten Gewändern, welche
spitztlatternd ausgehen; die Flügel sind ebenfalls spitz und
meist abwärts gewandt so füllen diese anmuthigen Fi-
gürchen bei manchen kölnischen Bildern in grosser Anzahl
den Hintergrund. Der Gekreuzigte ist sehr würdevoll dar-
gestellt und ohne das oberflächlich Schematische, was man-
chen Crucifixen dieser Zeit anhängt; die übrigen Gestalten
zeigen bei einer ziemlich durchgeführten malerischen Behand-
lung doch statuarische, feierliche Ruhe; nur hat bei einer
fast (lurchgängigen rohen Uebermalting der Schwung der Ge-
Wänder etwas verloren. Unter den noch gut erhaltenen alten
Theilen ist der Kopf der h. Margaretha hervorzuheben, wel-
cher den Styl Wilhelms nicht verkennen lässt. Das Ganze
ist ursprünglich auf die grossartigste Wirkung angelegt, die
jedoch durch den jetzigen Zustand beeinträchtigt wird.
7. Höchst wahrscheinlich ist auch die berühmte h. Veronica mit
dem Schweisstuch (in der Münchner Pinakothek) eine Arbeit
Wilhelms. Der Kopf, von höchstem und wunderbarstem
Reiz, ist in den Formen etwas leichter und mehr hingehaueht
als z. B. bei der Madonna des Kölner Museums, übrigens