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Buch II.
Mittelalter.
Der Norden.
Gothischer Styl.
geistigen Auffassungsweise. Diese geht von vorn herein
auf die Bezeichnung der seligen, paradiesischen Ruhe hei-
liger Personen aus, wozu sie hauptsächlich des Ausdruckes
kindlicher Unschuld und Reinheit, Weniger aber des indivi-
duellen Charakters bedarf; auch die Schönheit ist für sie
wesentlich nur Mittel, und lange nicht so sehr Formenprineip
wie bei den alten Nürnbergern. S0 bildet die Kölner Schule
vor allem eine der höchsten sittlichen Erscheinungen in
der Kunstgeschichte. Aus ihren Gestalten spricht eine lautere
Seele, welche mit dem höchsten Gesetz in ungctrübtem Ein-
klange lebt; da ist keine Spur von irgend welcher Unruhe
des Gemüthes, von Sehnsucht oder Schwärmerei, alles ist
uranfäinglieher, ungestörter, heiliger Friede. Süssigkeit und
Holdseligkeit, kindliche Heiterkeit und Anmuth haben sich
nirgends so durchgängig und anhaltend als herrschende
Richtung geltend gemacht, wie hier. Das Dämonische, das
Gemeine, wie es in Leben und Geschichte auftritt, ist zwar
diesen Malern an sich nicht völlig fremd, allein sie halten
es fern und getrennt von dem heiligen Bezirk, in welchem
ihr eigenthümliehes Wollen und Streben sich bewegt. Wie
im Gegensatz zu den wilden und stürmischen Zeiten, welche
Köln damals durchlebte, haben sie sich in ihren Bildern ein
Asyl gotterfüllter Ruhe geschaffen.
2. Auch die Aeusserliehkeiten der Darstellung stehen mit
dieser Auffassungsweise im Zusammenhang: die vielfach be-
merkliche Unsicherheit und Verselnvoninienheit in der Be-
,zeichnung der Formen, und das lichte Colorit, welches wie
durch einen duftigen F lor die Gestalten in eine Visionäre
Ferne rückt, sodass sie kaum irgendwo diejenige Körperlich-
keit der Erscheinung gewinnen, wodurch sich die Nürnberger
auszeichnen. Dabei zeigt sich gleichwohl die Technik der
"Farbenbehandlung, die Weichheit des Auftrages in einer
Vollendung, wie nirgend anderswo vor Einführung der Qel-
malerei; auch ist die Modellirung durchgängig mit grösster
Zartheit durchgeführt.
3- Vielleicht kann man in der ganzen neuern Kunstge-
schichte nirgends mit so vollem Rechte von Idealismus