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Buch II.
Mittelalter.
Der Norden.
Gofhjscher Styl.
Werke ausser einer (kleinen) Krönung der Maria bloss eine
Darstellung des Gekreuzigten mit Maria, Johannes und dem
Donator auf damascirtem Goldgrunde mit der Jahrzahl 1363;
eine Kreuzabnahme in der (jetzigen) Kathedrale zu Brügge,
ebenfalls auf Goldgrund, zeigt Ausdruck und scharfe sprechende
Züge, namentlich in der schmerzvollen Maria. Die Behand-
lung ist in diesen Bildern minder zart, die Umrisse derber,
die Schatten etwas schwerer als in den gleichzeitigen kölnischen
Gemälden; sonst zeigen sie den entwickeltem gothischen
5. Styl in all seinen Eigenthürnlichkeiten. Auch hier weisen
uns die Miniaturen den sichersten Weg. Auf merkwürdige
Weise offenbart sich darin eine Vorahnung der realistischen
Kunst des XV. Jahrhunderts; diese Arbeiten unterscheiden
sich nämlich von den französischen, mit welchen sie auf einem
und demselben Boden stehen, durch ein deutliches Streben
zum Individualisiren, durch grössere Naturwahrheit, bedeuten-
dern Reichthum an launigen Erlindungen, sorgfältigere Schat-
tenangabe und frischere mannigfaltigere Farben ü). Das älteste
datirte Beispiel ist eine Vulgzita in der Bibliothek des Semi-
nars zu Lüttich von 1248. Ein Psalterium der Bibliotheque
des Ducs de Bourgogne zu Brüssel, um 1300 illuminirt, ge-
hört hieher; desgleichen die nur hier und da illuminirten
Federzeichnungen zu einer französischen Geschichte Alexan-
ders des Grossen ebendaselbst und die Miniaturen des Michi el
van der Bolrch (zu einer Bibel in flamändischen Reimen)
im Westrenischen Museum im Haag (1332); wahrscheinlich
auch das im Jahre 1350 von dem Miniator Nicolaus Flamel
ausgemalte Livre des merveilles du monde, u. a. Werke mehr,
von welchen wir keine nähere Kunde haben"). Eine neue
noch bedeutendere Fortbildung des gothischen Styles in den
niederländischen Miniaturen seit der zweiten Hälfte des XIV.
Jahrhunderts versparen wir auf den Schluss dieses Abschnittes.
1, g. 61. In Bezug auf Deutschland endlich entsteht
die Frage, ob der gothische Styl in der Malerei theilweise
ü) Waagen a. a. O. III, S. 307.
H) VgL Raghgeber a_ a" 0, S. 28, und Waagen Handbuch der
deutschen und niederl. Malerschule. I. 39.