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Buch II. Mittelalter.
Der Norden.
Goihischer Sfyl.
ten einen eigenthümlichen Werth giebt, ist der hohe orna-
mentistisohe Sinn in der Anordnung. Man gab dem Glas--
gemälde von Anfang an einen prachtvoll gesäumten Teppich
zum Grunde, welcher gleichsam einen durchsichtigen Fenster-
vorhang vorstellte; atif diesem, von reichem Blattwerk ein-
gefasst, entwickelten sich ähnlich einer Prachtstickerei die
zahlreichen Medaillons mit den heiligen Geschichten und Le-
genden, welche hier wie an den Kirchenportalen verlangt
wurden. Es war nicht zu vermeiden, dass die einzelnen Fi-
guren dieser Medaillons ziemlich klein und die dargestellten
Handlungen bisweilen undeutlich ausfielen; oft aber zeigt sich
in den einzelnen Motiven ein Schönheitssinn, in der Anord-
nung der Gruppe eine Gemessenheit, welche den besten pla-
u. stischen Werken dieser Periode nicht nachsteht. Andere
Glasgemälde stellen einzelne Heilige, Propheten, Patriarehen,
Vorfahren Christi etc. oft in Lebensgrösse, unter mehr oder
weniger reichen Baldachinen auf ähnlichem Teppichgrundei
vor. So lange die Glasmalerei nichts anderes sein wollte als
eine Dienerin der Baukunst, wurde hier ein weises Gleich-
gewicht der Anordnung beobachtet; zwischen je zwei Stein-
stäbe deshohen Fensters kam nur je eine ruhig statuarische
Gestalt zu stehen, den ganzen übrigen Raum aber füllte der
prachtvolle Baldaehin aus, hell leuchtend auf dem meist dun-
keln (azurnen, purpurnen, smaragdnen etc.) Teppichornament.
Erst später stellte man mehrere Figuren über einander oder
drängte mehrere in eine Abtheiltlng, bis endlich, dem archi-
tektonischen Princip zuwider, eine ganze grosse Composition
das Fenster einnalnn, Wobei man das unvermeidliche steinerne
' Stabwerk berücksichtigte so gut es ging. Im Allgemeinen
nehmen die biblischen Geschichten und Legenden die untern,
die grossen einzeln stehenden Figuren die obern Kirchen-
fenster ein, doch keinesweges ausschliesslieh.
7_ Die prachtvollsten französischen Glasgemälde gothischen
ß) Prachtwerk: F. de Lasteyric, histoire de la pcinture sm-
verre dhpräs ses monzmwnts en Fwmce. Einzelnes in sehr guten
Abbildungen bei Didron, Anrlales archäologiques, an verschiedenen
Stellen.