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Buch II. Mittelalter. Der Norden. Romanischer Styl.
6. Fertigkeit in dieser Gattung. Noch ist ein Werk vom
grössten Massstabe vorhanden, welches wenigstens beweist,
an welche Aufgaben sich die damalige Stickerei bisweilen
wagte: die sog. „Tapisserie de Bayeux" (in der dortigen
Kunst- und Alterthumssammlung). Wahrscheinlich zur Ver-
zierung eines Frieses bestimmt, bildet dieselbe ein Band von
210 Fuss Länge und 19 Zoll Höhe, auf welchem die ganze
Geschichte der Eroberung Englands durch die Normannen
in vielen hundert Figuren mit erklärenden Beischriften dar-
gestellt ist. Die Erzählung des Ereignisses geht mit aller
erdenklichen Naivetät Schritt für Schritt wie ein Relief
weiter; das Einzelne des Styles entspricht, so viel sich nach
den kleinen Abbildungen de) urtheilen lässt, den abendländischen
hliniaturen des XI. Jahrhunderts. Die Doppeleinfassung be-
steht aus Zierrathen, Thieren und Vögeln, weiterhin nach der
Schlacht von Hastings aus angelsächsischen Leichen, u. dgl. m.
Als Urheberin des Werkes wird die Königin Mathilde, Ge-
mahlin Wilhelms des Eroberers, (T1085) von andern die
Kaiserin Mathilde, Tochter Heinrichs I. von England (nach
1100) genannt. Jedenfalls gestattet uns dieses in seiner Art
einzigeDenkmal einen Rückschluss auf andere Wandteppiche
in Pallästen und Kirchen, welche wir uns hienach grossen-
theils nicht bloss mit Ornamenten, sondern auch mit Figuren
7. bedeckt vorstellen dürfen. Von deutschen Arbeiten dieser
verschiedenen Gattungen ist nicht mehr viel vorhanden. Als
Beispiel des hohen Aufschwunges der Kunst zu Ende des
XII. Jahrhunderts sind die Fragmente der gewirkten Teppiche
wichtig, welche im Citer der Stiftskirche zu Quedlinburg
aufbewahrt werden. Sie gehören der Regierungszeit der Aeb-
tissin Agnes (um 1200) an, die dieselben eigenhändig mit
ihren Jungfrauen, zur Ausschmückung der Chorwände jener
Kirche, gewebt hat, und enthalten bildliche Darstellungen
allegorischen Inhalts: die Hochzeit. des Mercur mit der Philo-
logie (wiederum nach Marcianus Capella). Der Styl in der
Zeichnung dieser Darstellungen ist verschieden (die Muster-
a. bei D'Aginc0urt, Malerei, Taf.
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