Volltext: Franz Kugler's Handbuch der Geschichte der Malerei seit Constantin dem Großen (Bd. 1)

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Buch II. 
Mittelalter. 
Der Norden. 
Romanischer Styl. 
zehnde seinem Höhepunkte zu: es nahte die Blüthezeit der 
kirchlichen Macht und des Ritterthums, die höchste Aus- 
bildung des romantischen Geistes in Leben, Poesie und 
bildender Kunst. Das Resultat für die Malerei zeigt uns 
allerdings erst die folgende Periode,sallein die Anfänge haben 
wir schon hier in Erwägung zu ziehen. Zunächst zeigt sich 
als Grundlage der Kunst ein grösserer Reichthum des äussern 
Lebens. Das Auge des Künstlers öffnet sich jetzt für die 
Fülle der umgebenden Erscheinungen, und sorglich, wenn 
gleich häufig noch mit kleinlicher Aengstlichkeit, bestrebt er 
sich, das Einzelne in seiner Eigenthümlichkeit und seinem 
Zusammenhangs nachzubilden. Die Menschen, wie sie ihn 
umgeben, unterschieden nach Rang und Gewerbe, den 
lustigen Waffenschmuck der Krieger und den prächtigen 
Putz der Frauen, gegenseitigen Verkehr, Handel und Wandel, 
die Stimmungen des Gemüthes, wie sie sich in Stellung und 
Geberde aussprechen, die Gewalt der Leidenschaft und die 
Stille der Betrübniss sucht er unsern Augen vorzuführen, 
und trotz seiner höchst unzulänglichen Kunstmittel, trotz 
allen Mangels an entschiedener und durchdringender Be- 
lebung, gelingt es ihm insgemein, seine "Absichten klar und 
deutlich auszusprechen. Die phantastisch-dramatische Rich- 
tung, deren Anfang wir schon früher beobachtet, gelangt jetzt 
zu grösserer Entwickelung, zu vielseitigerem Ausdruck, und 
 durch künstlerische Behandlung weltlicher Gegenstände, 
namentlich der Sagen  zu einem grössern Spielraum. Da- 
bei werden heilige und profane, biblische und legendarische, 
poetische und historische Scenen mit einer beneidenswerthen 
Naivetät von den Malern im Costüm ihrer Zeit vorgetragen. 
Zugleich beginnt die Körperform, wenn auch noch immer die 
Motive des romanischen Styles vorherrschen, jenes architekto- 
nische Gesetz zu verlassen, es wird wenigstens das Streben 
sichtbar, sie in den allgemeinen Bezügen ihres organischen 
Zusammenhanges zu erfassen; die enggefaltete Gewandung 
fängt an, sich mehr den Formen des Körpers zu bequemen 
und seinen Bewegungen zu folgen; es fehlt endlich nicht an 
mannigfaltigen Zeugnissen eines auf Schönheit, Anmuth und
	        
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