Miniaturen
Curls
des
Kahlen.
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noch keinen hinlänglich vorbereiteten Boden gefunden hatte.
Fast zwei Jahrhunderte gehen noch vorüber, ehe von einer
wahren Weiterbildung die Rede sein darf.
Ein Evangelienbuch des Kaisers Lothar I. (840-855)
in der Kaiserl. Bibliothek zu Paris enthält zunächst das Bild
des thronenden Kaisers im Purpurmantel, dann einen Christus
auf der Wieltkugel und die vier Evangelisten in übertrieben
begeisterten; Gestus. Die Goldschrafürungen und die grosse
Eleganz sämmtlicher Ornamente weisen diesem Werke eine
Stelle Zunächst denjenigen aus der Zeit Carls an. Dasselbe
gilt von einer ebendort aufbewahrten Vulgata, Welche theil-
weise noch unter Ludwig dem Frommen, jedenfalls vor 850,
wahrscheinlich in Tours entstanden ist. Hier ist mehrmals
die Handlung reliefartig in verschiedenen Streifen übereinander
dargestellt und bildet eine fortlaufende Erzählung; eine An-
ordnung, welche in fränkischen Handschriften öfter wieder-
kehrt. So sieht man den h. Hieronymus nach Rom reisend,
den Schreibern die Vulgata diktirend und das vollendete
Werk austheilend; ähnlicher Weise zerfäillt die Geschichte
der ersten Menschen in Erschaffung, Sündenfall und Feld-
arbeit, und die des Paulus in seine Bekehrung, Heilung und
Predigt. Besonders schön ist das Titelblatt der Psalmen er-
funden: dcr jugendliche David in Krone und Purpurmantel,
schreitet auf der Harfe spielend in einem grossen blauen
Nimbus einher, rechts und links seine Leibwächter (die Crethi
und Plethi; in altrömischer Kriegstracht, in den vier Ecken
mit Fähnchen und Musikinstrumenten, andere auf die Psalmen
bezügliche Personen (Asaph, J edithun etcf), und in den vier
Zwickeln des Nimbus die Cardinaltugenden alles in den
edeln, freien Bewegungen und auch in Costüm und Falten-
Wurf der Antike verwandt. Das letzte Blatt ist erst unter
Carl dem Kehlen hinzugekommen und stellt diesen Kaiser
auf dem Throne vor, umgeben von Prinzen, Hofleuten und
Leibwächtern; zwölf Geistliche der Kirche von Tours bringen
ihm ein Buch (d. h. vorliegende Bibel) dar. In solchen Cere-
monienbildern mag immerhin der Gedanke byzantinisch sein,
auch wenn die Ausführung der einheimischen Kunst angehört,