Erster
Abschnitt.
Die
Kunst
diesseits
der
Alpen.
ä. 37. Wenn wir bis auf den heutigen Tag in der Ent-
wickelungsgcschichte der nordischen Kunst. unzählige Lücken
und unklare Stellen nicht verhehlen können, so dient uns zur
Entschuldigung eine Reihe von Ursachen. Die Wichtigste
und beklagenswertheste liegt in der massenhaften Zerstörung,
welche die drei letzten Jahrhunderte über die Schöpfungen
des Mittelalters gebracht haben. Grosse Umwälzungen, in
Deutschland und England die Reformation, in Frankreich die
Revolution, drängten die Völker in eine feindliche Stellung"
gegen die Werke der bildenden Kunst, in welchen der alte
Glaube verherrlicht war, und was der offenen Gewalt, der
blinden Wuth fanatischer Zerstörer entgangen war, das
unterlag der Verachtung, welche der moderne, namentlich
französische Classicismus gegen alles Mittelalterliche verbreitet
hatte. Es ist ein Merkmal unseres Jahrhunderts, dass es in
historischer und künstlerischer Pietät die Kunstwerke aller
Epochen achtet, sammelt und zu erhalten sucht, theils als an-
regende Vorbilder, theils wenigstens als Zeugnisse einer
grossen Vergangenheit, obwohl das Vorhandene, im Vergleich
mit der einstigen Pracht und Fülle, nur fragmentarischen und
desshalb räthselhaften Trümmern gleich sieht. Aber ausser-
dem fehlt der nordischen Kunst des Mittelalters diejenige
fortlaufende schriftliche Tradition, welche in Italien schon mit.
119m XIII, Jahrhundert beginnt und auch in den Zeiten des
Ülassicismus eine gewisse Theilnahme und Achtung für die