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Die Kunst des Mittelalters
welche in den einzelnen Staaten des Abendlandes das gei-
stige Leben aufrecht gehalten, sie zu einem gemeinsamen
Ganzen verbunden, durchgehende Interessen geschaffen hatte;
an ihr hatte nicht minder die Kunst fortwährend ihren wich-
tigsten Anhalt gehabt. In ihrem Dienste geht nun auch die
neue Kunst des Mittelalters wesentlich auf; die Darstellung
kirchlicher Ideen ist beinahe ihr einziges Ziel.
Dieses Streben fand seinen höchsten Ausdruck bekannt-
lich in der Architektur des XIII. Jahrhunderts; (lagegen wer-
den wir finden, dass die Malerei eine Stufe unterhalb der
Vollendung zurückblieb, so wunderbar auch einzelne ihrer
Schöpfungen uns ergreifen mögen. Sie hat die freie, um ihrer
selbst Willen vorhandene Schönheit, welche eine sinnliche Voll-
endung voraussetzt, bis zum Ablauf des XIV. Jahrhunderts
nicht erreicht, und konnte es nicht, so lange sie fast aus-
schliesslich im Dienste der Kirche stand. Für den religiösen
Zweck genügte auch die unentwickelte Form, sobald sie die
höhere Idee ausdrückte; die blosse Andeutung konnte die
Stelle einer sinnlich wahren Ausführung vertreten, besonders
wo sie mit so hoher Schönheit im Einzelnen verbunden war
wie in manchen Werken des spätern Mittelalters. Erst wäh-
rend des XV. Jahrhunderts, im Zusammenhang mit andern
grossen Bewegungen auf dem Gebiete des Geistes wird einer-
seits die treue Nachahmung der Natur, andererseits die freie
Hervorbringnng des Schönen der Zweck der Kunst, und nun
erst konnten auch in der kirchlichen Malerei die höchsten
und
vollendetsten
Meisterwerke
entstehen.