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Buch I.
Christl.
Alterthum.
Byzantinischer Styl.
_in den Mosaiken von S. Marco in Venedig wie in constanti-
nopolitanischen Miniaturen und in den Fresken griechischer
Klöster wiederfinden, und hierin zeigt es sich erst recht,
auf welchem abgestorbenen Boden wir uns bewegen. Aller-
dings tragen hier nicht blos die lllaler die Schuld; die Kirche
verlangte es nicht anders, insofern sie die Erfindung und
Anordnung unverholen für sich in Anspruch nahm. In einer
auf dem zweiten nicenischen Concil im Jahre 787 verlesenen
Vertheidigtmgf) gegen die Bilderfeinde heisst cs ganz deut-
lich: nicht die Erfindung (ägneiigeotg) der Maler schafft die
Bilder, sondern ein unverbrüchliches Gesetz, eine Tradition
(äeoyoüaaia xaä norgcidoütg) der katholischen Kirche;
nicht der Maler, sondern die heiligen Väter haben auszu-
denken und vorzuschreiben; ihnen gehört offenbar die Com-
position (dzoirceftg), dem Maler nur die Ausführung
Wenn nun die Kirche für irgend einen heiligen Gegenstand
die möglichst angemessene Darstellung einmal gefunden hatte,
so war kein)Grund vorhanden, irgend jemals davon abzugeben,
und wir werden in der That sehen, dass die byzantinische
Malerei sich bis auf diesen Tag gewissenhaft jenem Princip
unterworfen hat. Nur ist nicht zu vergessen, dass man einer
lebenskräftigen Kunst mit solchen Vorschriften gar nicht ent-
gegen zu treten gewagt hätte und dass das _Absterben des
byzantinischen Styls ebenso sehr Ursache als Wirkung eines
solchen kirchlichen Anspruches war; beginnt doch das Copiren
schon lange vorher! Glücklicher Weise haben die heiligen
Väter seit dem Jahre 787 die kirchlichen Darstellungen nicht
sämmtlich neu erfunden, sondern auch das Copiren nach den
altern, durch den Gebrauch geheiligten Compositionen ferner-
hin gestattet. Mehrmals hat es das günstige Schicksal ge-
wollt, dass treffliche Motive aus constantinischer, theodosischer
w) Abgedruckt in den Acten dieses Concils (Concüiorum collectio
regia maxima, Paris. 1714. Tnm. IV. Col. 360), welche auch Sonst
eine Menge kunstgesehichtlicher Thatsachen, namentlich aus beispiels-
halber beigebrachten Legenden enthalten. Vor den Acten sind die
111115911 allzuführenden Briefe Papst Gregors II. an Leo den Isaurier
mitgetheilt.