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Buch I.
Christl. Alterthum.
Byzantinischer Sty].
es ganz in den damaligen Umständen, (lass die siegende
Partei, um ihren Sieg kund zu geben, im Streben nach
Wvirkung einen Schritt weiter ging als bisher, zumal da der
feine Sinn der alten Zeit, Welcher sich gegen die Darstellung
des Trüben und Gräuelhaften gesträubt, inzwischen auch er-
storben War. Ein kirchlicher Beschluss, welcher dem Bilder-
streit schon um Jahrzehende vorangegangen, zeigt, dass
wenigstens bei der Passion Christi noch ein besonderer
WVechsel der geistigen Richtung mit ins Spiel kam. Das
Concil von Constantinopel im Jahre 692 (gewöhnlich Con-
cilium quinisextum oder in trullo benannt) entschied nämlich,
dass die unmittelbare menschliche Darstellung Christi der
symbolischen, namentlich dem bisher üblichen Lamme, durch-
aus vorzuziehen sei, Wonach die ganze Kunst. siclrzu achten
habe. Es ist diese eine officielle Erklärung von dem völligen
Absterben des allegorisch mythisirenden Sinnes, welcher der
urchristlichen Malerei eigen gewesen War, von dem Ueber-
tritt aus dem Symbolischen ins Historische, Welchen wir schon
bei Anlass des Mosaiks von S. Paul bei Rom anzudeuten
hatten. Eine nahe Bblge hievon musste z. B. das Aufkom-
men der Kreuzigtingsbilder- sein, da jetzt das Erlösungswerk
Christi kaum mehr anders darzustellen war; überdies spricht.
der Concilsbeschluss ausdrücklich von "Dem, welcher der
Welt Sünde trägt", womit wenigstens das Passionsbild, wenn
nicht geradezu die Kreuzigung, anempfohlexl werden sollte,
Bald darauf, im Jahre 730, erwähnte Papst. Gregor IL in
einem seiner Briefe an Leo den Isaurier die verschiedenen
Leidenssceneil (rcaäzfizarce) Christi schon als übliche und
löbliche Gegenstände der kirchlichen Wandmalerei. Das
Uebrige that in der Folge die schon erwähnte Sinnesweise, die
sich im Bilderstreit entwickelte.
g. 253. Um nun den byzantinischen Styl (in den von uns
angenommenen Grenzen) zu würdigen, vergegenwärtigen wir
uns nochmals die Ergebnisse des Bisherigen. Die alte Kunst,
schon im dritten Jahrh. in tiefem Verfall, dann innerlich zer-
sprengt und mit einem neuen Inhalt erfüllt durch eine neue
Religion, hatte es im IV. bis VI. Jahrhundert noch einmal