Miniaturen.
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minder prachtvollen Bilderschmuck erläuterte. Bei den hei-
ligen Schriften verlangte schon die hie und da bis an den
Aberglauben streifende Verehrung der damaligen Zeit die
prachtvollste Ausstattung des Innern wie des Einbandes,
klassische Autoren aber mochten bereits bildlicher Verdeut-
lichungen bedürfen, insofern man von der darin voraus-
gesetzten Glanzzeit der alten Welt in Gebräuchen, Lebens-
Weise und Tracht schon weit abgewichen war. Natürlich ist
hier der Kreis der Darstellungen ungleich grösser als in den
Gruftbildern und Mosaiken, und einige der frühsten Denk-
mäler dieser Gattung führen uns die Compositionsweise der
antiken Kunst noch einmal mit einem wahrhaft grossartigen
Reichthum vor, der uns die ohne Zweifel ungeheure Masse
des Verlorenen schmerzlich bedauern lässt. Dahin gehört. 2.
die in der vaticanischen Bibliothek befindliche Geschichte
des Josua, eine mit lauter historischen Seenen bemalte
Pergamentrolle von mehr als dreissig Fuss Länge, den Bei-
schritten nach allerdings erst aus dem VII. oder VIII. Jahr-
hundert, aber unzweifelhaft eine Copie nach einem lVei-ke
der besten altchristlichen Zeit. Die Arbeit hat das Ansehen
einer sorgfältigen, aber kühn und frei gezeichneten, mit
wenigen Farben ausgetuschten Skizze und ist von der voll-
endeten Pracht späterer byzantiniseher Miniaturen sehr ver-
schieden. In der Composition zeigt sich eine Lebendigkeit,
in den einzelnen Motiven eine Schönheit, im Ganzen noch
ein Reiehthum der Eründung, die diesem Denkmal unter den
eigentlich historischen Bildwerken der altchristlichen Zeit
gradezu die erste Stelle sichern. Trachten und Bewaffnun-
gen sind noch völlig antik; Josua hat, wo er vorkömmt, einen
Nimbus, ebenso die schönen symbolischen Frauengestalten
mit Scepterstäben und Mauerkronen, welche die belagerten
und eroberten Städte vorstellen; denn noch ist hier die ganze
Landschaft durch Sinnbilder, Berggötter, Flussgötter u. s. w.
ersetzt. In den Schlaehtscenen ist die wildeste Bewegung oft
sehr glücklich angedeutet, wobei eS der Künstler freilich mit
der Perspective und mit den Verhältnissen der Figuren zu
einander nicht genau genommen hat. Der Uopist der spätern