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Untersuchung
Schott.
des
Geistes
tien, und so bleibt kein Raum für den Gedanken, dass sie specielle
Heimsuchungen seien. Dieser gewaltige Wechsel in unseren Vor-
stellungen ist der Todesstoss für die Theologie, aber nützlich für
die Religion. Denn durch ihn wird die Wissenschaft aus einem
Feinde der Religion ihr Verbündeter. Religion gestaltet sich für
jeden nach dem inneren Lichte, womit er begabt ist. Bei ver-
schiedenen Charakteren nimmt sie daher verschiedene Formen an
und lässt sich nie auf eine allgemeine willkürliche Norm ziehen.
Theologie hingegen verlangt Herrschaft über alle Gemüther, will
ihre wesentlichen Verschiedenheiten nicht anerkennen, sucht sie zu
einem einzigen Glauben zusammenzuzwingen und stellt eine absolute
Norm der Wahrheit auf, nach der sie Jedermanns Meinungen prüft,
und maasst sich an alle zu verdammen, die von dieser Norm ab-
weichen. Solche Anmaassungen brauchen Beistand. Dazu wurden
Drohungen gebraucht, die in Zeiten der Unwissenheit allgemein
geglaubt werden, Furcht einilössen und dadurch Unterwerfung here
vorbringen. Daher erzählen die Bücher aller religiösen Systeme
die gröblichsten Grausamkeiten und schreiben sie ohne alles Be-
denken dem unmittelbaren Eingreifen Gottes zu. Menschliche und
milde Naturen empören sich über diese Grausamkeiten, selbst wenn
sie sich bemühen sie zu glauben. Die Wissenschaft hat das Ge-
schäft, die Theologie dadurch zu reinigen, dass sie zeigt, es sei
keine Grausamkeit vorhanden gewesen, weil kein Eingreifen statt-
gefunden habe. Die Wissenschaft schreibt das natürlichen Ursachen
zu, was die Theologie aus übernatürlichen herleitet. Nach dieser
'Ansicht sind die Drangsale, welche über die Welt gekommen sind,
die Folge menschlicher Unwissenheit und nicht göttlichen Eingreifens
gewesen. Wir müssen ihm nicht zuschreiben, was nur von unserer
eigenen Thorheit oder von unserer eigenen Schlechtigkeit herrührt.
Wir müssen ein allweises und allgütiges Wesen nicht durch die
Uebertragung unserer kleinen Leidenschaften auf ihn verleumden,
als wäre er der Wuth, der Eifersucht, der Rache fahig, und mit
ausgerecktem Arm immer beschäftigt, die Leiden der Menschheit
zu erschweren und das Elend unseres Geschlechts noch herber zu
machen, als es sonst sein würde.
Dass wir diese merkwürdige Verbesserung religiöser Begriife
dem Fortschritt der Naturwissenschaften verdanken, erhellt nicht
nur aus allgemeinen Gründen, aus denen wir annehmen müssen,
dass dies der Fall sei, sondern auch aus der historischen That-
sache, dass die allmählige Zerstörung der alten Theologie überall