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Untersuchung
des
Schott.
Geistes
so bildet er einen auffallenden Gegensatz zu der rein synthetischen
Methode Cullen's, des anderen grossen Schottischen Pathologen.
Aber bei dem Versuch, diese beiden Methoden zu vereinen, ver-
wirrte Hunter sich und seine Leser. Daher die Dunkelheit, welche
selbst seine wärmsten Bewunderer bemerkt, obwohl nicht aus ihrer
Ursache erklärt haben. So gewaltig auch seine Kräfte waren, eine
völlige Verschmelzung von Induction und Deduction konnte er nicht
erreichen. Dass dies der Fall gewesen, wird Niemand Wunder
nehmen, wenn er bedenkt, wie hieran, an dem schwierigsten aller
Unternehmen, einige der grössten Denker gescheitert sind. Unter
den Alten scheiterte Plato in. der Induction und alle seine Nach-
folger scheiterten mit ihm, denn keiner von ihnen schenkte den
Thatsachen und dem Verfahren, vorn Besondern auf das Allgemeine
zu schliessen, hinreichendes Vertrauen. Unter den Neucrn fehlte
es Baco an der Deduction, und jedem Anhänger Bacols ist es
ebenso ergangen; denn es ist der wesentliche Fehler dieser Schule,
das Argumentiren aus allgemeinen Sätzen zu verachten und den
Werth des Vernunftschlusses zu unterschätzen. Ja es lässt sich
bezweifeln, ob die Weltgeschichte mehr als zwei Beispiele von
Naturforschern liefert, die eben so gross in der einen Form der
Untersuchung waren als in der andern. Es sind Aristoteles und
Newton. Sie handhabten beide Methoden mit gleicher Leichtigkeit,
sie verbanden die Geschicklichkeit und Kühnheit der Deduction
mit der Vorsicht und Ausdauer der Induction, waren eben so sehr
Meister in der Synthese als in der Analyse, eben so fähig vom
Allgemeinen zum Besondern, als vom Besondern zum Allgemeinen
fortzugehen, liessen bisweilen Gedanken den Thatsachen und bis-
weilen Thatsachen den Gedanken vorhergehen, aber schwankten
nie und waren nie in Zweifel, welches Verfahren sie einzuschlagen
hätten, und liessen nie das eine Verfahren ein ungehöriges Ueber-
gewicht über das entgegengesetzte davontragen. Dass Hunter
nicht im Stande war dies zu thun, beweist nur, dass er diesen
beiden Männern nicht gleich kam, deren fast unglaubliche Leistungen
ihnen einen Anspruch darauf geben, die Wunder des Menschen-
geschlechts genannt zu werden. Aber was er leistete, war be-
wundernswürdig, und er hat in seinem eigenen Fache nic seines
Gleichen gehabt. Von dem Charakter und der Ausdehnung seiner-
Forschung habe ich eine Skizze entworfen. Trotz ihrer Unvoll-
kommenheiten mag sie den Widerstreit des Schottischen und Eng-
lischen Geistes beweisen durch die Darstellung des Kampfes der