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Untersuchung des
Schott.
Geistes
lange nicht alles dies studirt und Schritte gethan sind, daraus
allgemeine Principien zu ziehen.
Da die Wissenschaft der Pathologie noch so sehr zurück ist
sowohl in der Art und Weise, wie sie aufgefasst, als in der wie
sie ausgeführt wird, dass selbst Männer von bedeutendem Geist
glauben, sie könne aus dem blosen Studium des menschlichen
Körpers entnommen werden, so wird man kaum erwarten, dass
die Schotten trotz ihrer wunderbar kühnen Speeulationen schon im
l8. Jahrhundert im Stande gewesen seien, eine Methode vorweg
zu nehmen, welche das 19. Jahrhundert noch erst anzuwenden hat.
Aber sie brachten zwei grosse Pathologen hervor, denen wir viel
verdanken. Dies waren Cullen und John Hunterßol) Cullen war
nur als Patholog bedeutend, aber Hunter, dessen herrlicher, rast-
loser Genius viel weiter schweifte, war gross in beiden Fächern,
in der Physiologie und in der Pathologie. Eine kurze Nachricht
von dem, was sie in der Organik geleistet, wird eine passende
Zugabe zu dem sein, was ich schon über die Leistungen ihrer
Landsleute in der Wissenschaft vom Unorganischen während der-
selben Periode gesagt habe. Es wird unseren Ueberblick des
Schottischen Geistes vervollständigen und den Leser in den Stand
setzen, sich eine Vorstellung von den glänzenden geistigen Thaten
dieses höchst merkwürdigen Volkes zu machen, welches im Gegen-
satz zu dem Verlauf der Angelegenheiten bei allen andern neuern
Völkern den Beweis geliefert hat, dass wissenschaftliche Ent-
deckungen nicht nothwendig den Aberglauben schwächen, und dass
zwei feindliche Principien nebeneinander in Blüthe stehen können,
ohne je wirklich in Streit zu gerathen oder einander zu schwächen.
Im Jahre 1751 wurde Cullen an der Universität Glasgow zum
Professor der Medicin ernannt. 20") Im Jahre 1756 wurde er jedoch
von dort an die Universität zu Edinburg versetzt. w") Dort gab
er die berühmten Vorlesungen, auf die sich sein Ruhm jetzt stützt.
In der ersten Zeit seiner Laufbahn widmete er der anorganischen
Naturwissenschaft grosse Aufmerksamkeit und trug einige merk-
907) Hunter, wie wir gleich sehen werden, nahm einen iiusserst umfassenden Ge-
sichtspunkt für die Pathologie; er schloss die ganze organische Welt ein und selbst die
Formabweichungen der anorganischen.
'03) Thomsovfs Lzfe of Gallen, I, 70, Edinburgh 1832.
909) Tkomsorfs Lzjfe qf Gallen, I, 96. Bower sagt, dass Cullen "was appointed to
the chair in 1755." Bowerü? History of the Uniwrsity of Edinburgh, II, 216, Edin-
bnrgh 1817.