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des
Untersuchung
Schott.
Geistes
nur ihre Sprache und ihr Kostüm, sondern ihr ganzes Wesen und
ihre innersten Gefühle sprechen von vergangenen Tagen, die wir
nicht fest ergreifen können. Ohne Zweifel empfangen die Gebildet-
sten unter uns eine gewisse Zierde des Geistes durch die Literatur
der Vergangenheit, und sie mögen durch sie bisweilen ihren Ge-
schmack verfeinern, bisweilen den Kreis ihrer Gedanken erweitern.
Aber die wahre Bildung eines grossen Volkes, aus der jede Gene-
ration vornehmlich ihre Kraft schöpft, besteht in dem, was sie von
der unmittelbar vorhergehenden Generation gelernt hat. Wenn wir
uns auch oft des Vorganges nicht bewusst sind, bauen wir doch
fast alle unsere Gedanken auf der Grundlage auf, die von unsern
unmittelbaren Vorfahren anerkannt worden ist. Unsere genaueste
Berührung haben wir mit unsern Vätern, nicht mit deren Vätern;
ihnen sind wir wahrhaft verwandt; diese Verwandtschaft entspringt
frei, kostet uns keine Anstrengung, und von ihr können wir uns
freilich nicht losmachen. Wir erben ihre Vorstellungen und modi-
fiziren sie, gerade wie sie die ihrer Vorgänger moditizirt haben.
Bei jeder Veränderung, die der andern folgt, geht etwas verloren
und wird etwas gewonnen, bis am Ende der ursprüngliche Typus
fast ganz verschwindet. Deswegen haben Ideen, die vor verschie-
denen Generationen gehegt wurden, zu uns ungefähr das nämliche
Verhältniss, als Ideen, die in einer fremden Literatur aufbewahrt
sind. In beiden Fällen mögen diese Ideen unserem Wissen zur
Zierde gereichen, sie bürgern sich aber nie so vollständig in
unserem Geiste ein, dass sie dieses Wissen selbst ausmachen
sollten. Ihre Verdauung ist unvollständig, weil unser Mitgefühl
ein unvollständiges bleibt. Wir haben keinen grossen Dichter,
und unsere Armuth an ihnen wird dadurch nicht aufgewogen, dass
wir einst Welche hatten und dass wir ihre Werke lesen können
und lesen. Die Bewegung ist vorüber, der Zauber ist gebrochen,
das Band der Verbindung, obgleich nicht zerrissen, ist ernstlich
geschwächt. Daher hat unser Zeitalter, so gross es ist, fast in
jeder Hinsicht grösser, als je die Welt eins gesehen, trotz seiner
grossen und- edeln Gefühle, seiner Duldung ohne Gleichen, seiner
Liebe zur Freiheit, seiner verschwenderischen fast ausschweifenden
Wohlthätigkeit, einen gewissen materiellen, phantasielosen, un-
heroischen Charakter, der schon Manchen, der es beobachtete, für
seine Zukunft besorgt machte. So weit ich im Stande bin, unsere
gegenwärtige Lage zu verstehen, theile ich diese Befürchtungen
nicht und glaube, das Gute, welches wir schon gewonnen, ist ohne