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Untersuchung
Schott.
des
Geistes
Hypothesen und durch das öftere Waltenlassen ihrer Phantasie
grösserc Dinge aus, wenn wir den damaligen Stand der Wissen-
schaft in Betracht ziehen, als unsere Zeitgenossen mit viel grösseren
Hülfsmitteln zu leisten im Stande gewesen sind. Die prächtigen
allgemeinen Auffassungen eines Newton und Harvey hätten sich
niemals in einem Zeitalter, das sich ganz in einem unveränderten
Zirkel von Experimenten und Beobachtungen verliert, vollziehen
können. Wir haben es dahin gebracht, dass unsere Thatsztehen
über unsere Erkenntniss hinausgehen und. ihr in ihrem Verlaufe
zur Last fallen. Die Schriften unserer wissenschaftlichen Anstalten
und unserer Männer der Wissenschaft sind bis zum Ueberfluss voll
von endlosem kleinem Detail, welches das Urtheil verwirrt und
jedem Gedachtniss cntschlüpft. Vergebens verlangen wir, dass dies
Detail verallgemeinert und geordnet werde. Statt dessen schwillt
der Haufe immer an. Wir brauchen (ßledanken und erhalten immer
mehr Thatsachen. Wir hören fortwährend, was die Natur thut,
aber wir hören selten, was der Mensch denkt. Durch den uner-
müdlichen Fleiss dieses und des vorigen Jahrhunderts sind wir in
Besitz einer gewaltigen unzusamnnenhängenden Masse von Beob-
achtungen, die mit grosser Sorgfalt aufgespeichert worden sind,
aber gänzlich nutzlos bleiben müssen, bis sie unter einer herrschen-
den ldee verbunden werden. Das wirksamste Mittel, sie zu he-
nutzen, würde sein, der Phantasie mehr Einfluss zu gestatten und.
den Geist der Dichtung bei dem Geist der Wissenschaft einzu-
bürgern. Hierdurch würden unsere Gelehrten ihr Mittel verdoppeln,
statt wie jetzt gelähmt und nur mit ihrem halben Wesen zu arbeiten.
Sie fürchten die Phantasie wegen ihrer Neigung vorschnell Theorien
aufzustellen. Aber ohne Zweifel brauchen wir alle unsere Fähig-
keiten zur Verfolgung der Wahrheit und irgend eine Seite des
menschlichen Geistes in schlechten Ruf zu bringen, lässt sich nicht
rechtfertigen. Ja, ich zweifle kaum, zu den Ursachen, warum wir
in England während des 17. Jahrhunderts so bewundernswürdige
Entdeckungen-machten, gehört, dass dieses Jahrhundert auch das
grosse Jahrhundert der Englischen Poesie war. Die beiden grössten
Geister, die unser Vaterland hervorgebracht hat, sind Shakespeare
und Newton; und dass Shakespeare Newton voraufging, war nach
meiner Meinung kein zufälliges und nichtssagendes Ereigniss.
Shakespeare und die Dichter säten die Saat, die Newton und die
Denker ernteten. Sie liessen die alten seholastischen und theolo-
gischen Bestrebungen bei Seite, richteten ihre Aufmerksamkeit auf