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Untersuchung
des
Schott.
Geistes
die Versicherung falsch ist, m) aber er weiss auch, dass sie noth-
wendig ist. Denn wenn ihr sie ihm nicht zugeht, kann er nichts
beweisen. Wenn ihr darauf besteht, er müsse in seine Prämissen
den Begriff der Breite aufnehmen, so kann er nicht weitergehen,
und das ganze Gebäude der Geometrie fallt zu Boden. Da jedoch
die Breite der schwächsten Linie so gering ist, dass sie nicht
gemessen werden kann, ausser miteinem Instrument, das man
unter dem Mikroskop braucht, so folgt, die Versicherung, es könne
Linien ohne Breite geben, kommt der Wahrheit so nahe, dass
unsere Sinne ohne künstlichen Beistand" den Irrthum nicht entdecken
können. Früher und vor der Erfindung des Mikroskops im 17. Jahr-
hundert war es unmöglich ihn überall zu entdecken. Der Satz
des Geometers und seine Schlüsse daraus nähern sich der Wahr-
heit daher so'sehr, dass wir sie als richtig anzunehmen berechtigt
sind. Der Bruch ist so gering, dass er nicht mehr bemerkt werden
kann. Dass aber ein Bruch vorhanden ist, scheint mir gewiss zu
sein. Es scheint gewiss zu sein, dass in den Schlussfolgerungen
immer ein Fehler sein muss, wenn die Prämissen unvollkommen
sind. In allen solchen Fällen ist das Feld der Untersuchung nicht
ganz bestritten; und wenn ein Theil der vorläufigen Thatsachen
weggelassen wird, so glaube ich, muss man zugeben, dass voll-
ständige Wahrheit nicht erreicht werden kann, und dass bis jetzt
noch kein Problem in der Geometrie erschöpfend gelöst worden
ist. 36)
Die erstaunlichen Triumphe, die man in diesem Zweige der
Mathematik erlangt hat, zeigen jedoch, welch eine mächtige Wade
diese Form der Deduction ist, welche von einer künstlichen Trennung
an sich untrennbarer Thatsachen ausgeht. So wenig jedoch wird
die Philosophie der Methode verstanden, dass am Ende des
35b) Wie sollt' er? Die mathematische Linie ist nicht der gezeichnete Strich,
sondern die Grenze, die sie macht und die misst kein Mikrometer, obgleich sie
erscheint und reell ist. A. R.
36) Das heisst hinsichtlich der Thatsachen. Geometrie in ihrer höchsten Fassung
beruht auf Begriffen und ist sofern nicht anzufechten, wenn die Axiome nicht um-
gestossen werden können. Wenn die Geometriker aber ebensowohl Definitionen als
Axiome haben wollen, so gewinnen sie ohne Zweifel erhöhte Klarheit, verlieren aber
an Genauigkeit. Es scheint Iiiir, ohne Deünitionen könnte die Geometrie keine Wissen-
schaft vom Raume sein, sondern würde eine Wissenschaft von den Grössen, in Be-
griifen sein, und folglich so rein, als Begriifsentwickelung sie machen könnte. Die;
triift die Frage nach dem empirischen Ursprunge der Axiome nicht.