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des
Untersuchung
Schott.
Geistes
der sittlichen Gefühle" und 1776 seinen "Nationalreieh-
thum". Um die Philosophie dieses bei weitem grössten aller
Schottischen Denker zu verstehen, muss man beide Werke zusammen-
nehmen und als eins betrachten; sie sind in Wahrheit zwei
Abtheilungen eines und desselben Gegenstandes. In den "sitt-
lichen _Gefühlen (moral sentiments)" untersucht er die mensch-
liche Natur in ihrem mitfühlenden Wesen; in dem „N ational-
reic hthum (wealth of Nations) " in ihrem eigcnnützigen Verhalten.
Und da wir alle sowohl mitfühlend als eigennützig sind, mit andern
Worten, da wir alle sowohl nach Aussen als nach Innen schauen,
und dies eine ursprüngliche und erschöpfende Eintheilung der
Beweggründe zu unseren Handlungen ist, so leuchtet es ein, hätte
Adam Smith seinen grossen Zweck vollkommen erreicht, so würde
er das Studium der menschlichen Natur sogleich zu einer Wissen-
schaft erhoben und spätern Forschern nichts übrig gelassen haben,
als die untergeordneten Triebfedern der Dinge zu suchen, denn sie
alle mussten in diesem System ihre Stelle finden und sich ihm
einreihen. Als er an diese erstaunliche Aufgabe herantrat, breitete
sich ein unendliches Feld der Forschung vor ihm aus, und er
bemerkte bald, dass ein inductives Verfahren unmöglich sein wurde,
denn es würde die Arbeit mehrerer Lebensalter. erfordert haben,
nur den Stoff zusammenzubringen, aus dem die Gedanken zu ab-
strahiren wären. Unter dem Einfluss dieser Ueberlegung und viel-
leicht noch mehr unter dem Einfluss der intellectuellen Gewohnheiten
seiner Umgebung beschloss er die deductive statt der inductiven
Methode zu wählen; aber in der Aufsuchung der Prämissen, von
denen er ausgehen wollte, um sein Gebäude darauf zu errichten,
wählte er einen eigenthümlichen Kunstgriff, der vollkommen haltbar
ist, und den er ohne Zweifel anzuwenden berechtigt war; freilich
erfordert seine Benutzung einen so feinen Tact und setzt so viel
Bildung voraus, dass sehr wenige Schriftsteller vor oder nach ihm
diesen Kunstgriff mit Erfolg auf sociale Fragen angewendet haben.
Was ich meine ist Folgendes: Wenn ein Gegenstand sich
nicht inductiv behandeln lasst, entweder weil er keine EXpcrimente
zulässt, oder weil sein Wesen äusserst verwickelt ist, oder weil
sich endlos verwirrendes Detail um ihn angesammelt hat; in allen
diesen Fällen können wir die untrennbaren Thatsaehen im Gedanken
trennen und über eine Reihe von Ereignissen argumentiren, die
keine reelle und unabhängige Existenz haben und nirgends anders
anzutreffen Sind, als in der Vorstellung des Forschers, Ein Resultat,