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Untersuchung
des
Schott.
Geistes
Despotismus rettete. Aber die nämlichen Verhältnisse, welche das
Volk vor politischem Despotismus bewahrten, setzten es um so
mehr dem geistlichen Despotismus aus. Denn da die Menschen
sich auf Niemand als auf ihre Prediger verlassen konnten, so ver-
liessen sie sich ganz und in allen Dingen auf sie. Die Geistlichen
wurden allmählig Herren nicht nur in geistlichen, sondern auch in
weltlichen Angelegenheiten. Am. Ausgänge des 16. Jahrhunderts
waren sie froh gewesen, dass sie sich unter das Volk flüchten
konnten; vor der Mitte des 17. Jahrhunderts beherrschten sie das
Volk. Wie schniählich sie ihre Macht missbrauchten, wie sie die
ärgste Art des Aberglaubens beförderten und dadurch das Reich
der Unwissenheit verlängerten und den Fortschritt der Gesellschaft
hemmten, wird im Verlaufe dieses Kapitels erzählt werden; um
aber gerecht gegen sie zu sein, müssen wir zugeben, dass die
religiöse Knechtschaft, worin die Schotten während des 17. Jahr-
hunderts verfielen, im Ganzen eine freiwillige war, und dass, so
schädlich sie war, sie wenigstens einen edlen Ursprung hatte, da
die Macht des protestantischen Clerus vornehmlich der Furcht-
losigkeit zugeschrieben werden muss, mit der er sich an die
Spitze des Volks stellte, zu einer Zeit, wo diese Stelle gefahrvoll
und" die höhern Klassen bereit waren, sich mit der Krone zur
Vernichtung der letzten Spuren der Volksfreiheit zu verbinden.
Die Wirksamkeit dieser Ursache des Schottischen Aberglaubens
nachzuweisen, wird das Geschäft des vorliegenden Kapitels sein,
während ich in dem folgenden, dem Schlusskapitel, die andere
Ursache prüfen werde, die ich bis jetzt noch kaum erwähnt habe.
Diese Untersuchung wird einige Betrachtungen über die Philosophie
der Methode mit enthalten, die nur noch unvollkommen bei uns
gewürdigt wird, und über die die Geschichte des Schottischen
Geistes viel Licht verbreiten wird. Denn es wird sich zeigen,
dass während des 18. Jahrhunderts die bedeutendsten Schotten
fast ohne Ausnahme bei der Untersuchung der Wahrheit eine
Methode anwandten, welche sie von der Theilnahme ihrer Lands-
leute abschnitt und ihre Werke verhinderte, den Eindruck zu
machen, den sie sonst wohl gemacht haben möchten. Es wurde also
wirklich eine sehr skeptische Literatur hervorgebracht, ohne dass
der Skepticismus Fortschritte machte und ohne dass der Aberglaube
dadurch vermindert worden wäre. Hochgebildete Geister wurden
Wohl davon berührt, aber sie bildeten eine abgeschlossene Klasse
und zwischen ihnen und dem Volke gab es keine Vermittelung.