Epochen
und
geographische
Grenzen.
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Regeln fragte und den Anspruch an sich machte, die Quellen des
Schönen vollständig zu benutzen. Diese Quellen sind aber für die
Architektur stets historische, also bereits vorhandene Leistungen,
und als solche boten sich den Italienern theils die einheimische,
noch in vielen alten mehr oder weniger erhaltenen Werken vor-
liegende antike Kunst, theils die der nordischen Völker dar. Frei-
lich konnte man sich keiner von beiden unbedingt hingeben; die
Antike entsprach weder den herrschenden Verhältnissen noch
dem christlichen Sinne, die Baukunst des Nordens aber setzte,
abgesehn von manchem andern, was sie den Italienern unver-
ständlich machte, ein ganz andres Raumgetiihl als das ihrige vor-
aus. Dennoch hatten beide etwas Anziehendes, diese eine gewisse
Kühnheit, Eleganz und Wärme, jene die dem Nationalgefühl zu-
sagende Würde, Ruhe und Einfachheit. Es wäre darauf ange-
kommen, diese verschiedenen Vorzüge zu verschmelzen und dar-
aus einen neuen italienischen Styl zu bilden, allein dazu waren
theils jene Style innerlich zu sehr entgegengesetzt, theils die
Italiener eben wegen ihres Mangels an schulmässiger Disciplin
ilngeeignet. Es blieb daher bei individuellen Versuchen, bei denen
dann aber die Erfolge und der Einfluss des Publikums eine ge-
wisse Uebereinstimmung hervorbrachten, vermöge welcher dann
endlich die Elemente des Gothischen im Allgemeinen jedoch
bald in stärkerer, bald in schwächerer Weise das Uebergewicht
erhielten.
In diesem Sinne gab es also auch herrschende Stylformen
und Stylveränderungen, aber mit viel geringerer Bedeutung, als
bei den nordischen Nationen. Für diese waren sie Stufen ihrer
geistigen Entwickelung, allgemeine Gesetze, denen sich für die
Zeit ihrer Geltung alles unterwarf; den Italienern erschienen sie
mehr als ein blosser Geschmackswechsel, als eine Bereicherung
des vorhandenen Formenvorraths, von der man nach individuellem
Belieben Gebrauch machen konnte oder nicht. Das italienische
Raumgefühl und ihre ganze Auffassung der Architektur blieben
ohnehin unverändert, die fremden Formen Qbildeten also nur eine
neue Weise der Decoration, die man, eben weil sie keinen festen
Boden hatte, auch gelegentlich übertrieb und neben der sich auch
ältere Formen erhielten. Von romanischem Style sollte man in