Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Das Mittelalter Italiens und die Grenzgebiete der abendländischen Kunst (Bd. 7 = [2], Bd. 5)

Nationale 
Eigenthümlichkeit. 
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der grosse Reiz des Einzelnen. In den Gegenden, wo Ueberiiuss 
an antiken Fragmenten vorhanden war, hatten die Bauleute die 
Gelegenheit und gewissermaassen die Pflicht, sich in geschmack- 
voller Zusammenstellung derselben zu üben. Aber auch, wo es 
daran fehlte, Wusste man, mit einem eigenthümlichen nationalen 
Talente, durch Verbindung verschiedener Materialien, oft der ein- 
fachsten Art, durch wechselnde Lagen verschiedener Steine, oder 
auch von Ziegeln und Steinen den Wandflächen oder Bögen mit 
Wenigen Kosten einen grossen Reiz zu geben. Zu dieser mehr 
durch die Farbe wirkenden Decoration kommt dann die Neigung 
zu plastischer Ausstattung bald mit rein architektonischen Orna- 
menten, bald mit schon kunstreicheren aus dem Pflanzen- oder 
Thierreiche entlehnten, und endlich mit selbstständigen Reliefs und 
andern Bildwerken, Welche durch das vortreffliche Material des 
Marmors begünstigt wurde, aber doch ihre Wurzel in der ganzen 
Anlage und Richtung der Nation hatte. Anfangs, so lange die 
Leitung der Bauten in den Händen gewöhnlicher Maurer und 
Steinarbeiter war, führte diese plastische Neigung zu einem Wil- 
den phantastischen Spiel, später aber, bei wachsender Civilisation 
und Verschönerungslust, veranlasste sie die städtischen Obrigkei- 
ten, die Meister, denen sie die Leitung der Öffentlichen Pracht- 
bauten anvertrauten, am liebsten aus der Zahl derer zu nehmen, 
die sich als Bildhauer ausgezeichnet hatten. Die Verbindung 
beider Künste War hier die umgekehrte wie in den nordischen 
Ländern; in diesen gingen die Bildner aus den Bauhütten hervor, 
hier die Baumeister aus den Bildhauerwerkstätten, und diese ver- 
schiedene Herkunft und Vorbildung der Meister gab denn auch 
der Architektur selbst eine andere Richtung. Sie gewann durch 
den Einfluss dieser angesehenen Künstler eine höhere künstle- 
rische Durchbildung, aber nicht. im eigentlich architektonischen 
Sinne. Zu jener Selbstlosigkeit, die nur nach dem gemeinsamen 
Ziele strebt und die eigne Individualität unterordnet, konnte derPla- 
stiker sich nicht entschliessen, da iniseiner Kunst grade das Indivi- 
duelle den WVerth bestimmt. Die höchsten Ziele architektonischen 
Strebens erreichten sie daher nicht in dem Grade wie ihre nordi- 
schen Kunstgenossen. Aber dafür bewegen sie sich freier, origi- 
neller, energischer. Während die nordischen Meister immer nur
	        
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