Volltext: Geschichte der bildenden Künste im Mittelalter: Das Mittelalter Italiens und die Grenzgebiete der abendländischen Kunst (Bd. 7 = [2], Bd. 5)

Nationale 
Eigenthümlichkeit. 
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viduum sofort inis Auge. Der Baum als solcher individualisirt 
sich ihnen und sie sind daher vor Allem bemüht, die Beziehungen 
seiner Dimensionen und seiner wesentlichen Abtheilungen klar 
und ausdrucksvoll festzustellen. Ihr musikalisches Talent tritt 
hier in der Architektur zuerst hervor. 
Daneben macht sich dann die plastische Richtung geltend. 
Ihr feines Gefühl für das Einzelleben, für die Schönheit der mensch- 
lichen Gestalt und für die verwandten und vorbereitenden Züge der 
Thier- und Pflanzenwelt äussert sich in günstigster Weise in der 
Anmuth und in dem lebensvollen Reichthume des Schmuckes, so 
wie in der unbefangenen Einfügung desselben in die Raumver- 
hältnisse.  
Im Allgemeinen also und in den Einzelheiten offenbart sich 
der italienische Sinn in seiner liebenswürdigen und bedeutenden 
Eigenthümlichkeit. Aber zwischen diesen beiden Extremen fehlt 
meistens die befriedigende Vermittelung. Vermöge ihres scharfen 
praktischen Verstandes und der treflliehen Materialien, Welche das 
Land bietet, bauen die Italiener mit untadelhafter Solidität, selbst 
mit grosser Kühnheit, aber die Anforderung einer organischen 
Einheit des Ganzen und seiner Theile, die Nothwendigkeit, aus 
dem Allgemeinen das Besondere, aus den Raumverhältnissen und 
stofilichen Bedingungen die constructive Gliederung und aus die- 
ser wieder die Ornamentation zu entwickeln, haben sie niemals 
recht tief empfunden; nicht bloss ihre Gebäude, sondern auch ihre 
theoretischen und kritischen Aeusserungen beweisen diesen Man- 
gel. Sie betrachten das Gebäude fast nur wie ein Gehäuse oder 
einen Rahmen für eine Sammlung von Bildwerken, Gemälden 
und decorativen Ergüssen, und machen daher an dasselbe zunächst 
nur die Ansprüche, welche diese Bestimmung mit sich bringt, 
angenehme Verhältnisse und genügende Begrenzungen, in denen 
sich jene schönen Details freierer Kunstleistungen geltend machen 
können. Sie nehmen keinen Anstoss, wenn die Wände im Inneren 
und Aeusseren durch den Mangel lebendiger Gliederung leer und 
wie unvollendet erscheinen, sie halten damit die architektonische 
Arbeit zunächst für geschlossen, lassen sie so Jahrhunderte lang 
stehen, ohne durch diesen Anblick zu weiterer Ausführung ge- 
reizt zu Werden.
	        
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